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Zweiter Artikel
Nachdem in einem früheren Artikel diese gelehrte Arbeit des höchstverehrten Herrn Verfassers dazu benutzt worden, zu versuchen, das herauszuheben, was aus diesem berühmten Gedichte sich für die sittlichen Bestimmungen der Inder ergebe, so soll aus der Zusammenstellung und den Aufklärungen, welche uns diese höchst schätzbare Darstellung über die religiöse Ansicht dieses Volkes gewährt, der Vorteil gezogen werden, einige Grundbestimmungen zu derselben in Betracht zu ziehen und Rechenschaft über diese zu geben. Die Aufschlüsse, welche wir in den vorliegenden Vorlesungen erhalten, sind um so interessanter, als sie nicht irgendeine partikuläre Seite der unendlich vielgestalteten indischen Mythologie behandeln, sondern sich vornehmlich mit der Joga-Lehre, dem Innersten der Religion dieses Volkes, beschäftigen, worin ebensosehr die Natur seiner Religiosität als seines höchsten Begriffes von Gott enthalten ist. Diese Lehre ist die Grundvorstellung, welche durch das ganze Gedicht herrschend ist und geltend gemacht wird.
Sogleich ist zu bemerken, daß der Ausdruck Joga-Lehre nicht das Mißverständnis veranlassen darf, als ob Joga eine Wissenschaft, ein entwickeltes System sei. Es ist damit nur eine Lehre in dem Sinne gemeint, wie man etwa von der mystischen Lehre spricht, um einen Standpunkt zu bezeichnen, der, als Lehre betrachtet, nur etliche wenige Behauptungen und Versicherungen enthält und vornehmlich erbauend, zur geforderten Erhebung ermahnend und aufregend ist. Es ist dies mit ein Grund, warum, wie Herr von Humboldt S. 33 anführt, diese Lehre eine Geheimlehre ist; sie kann ihrer Natur nach nicht objektiv sein, denn sie hat keinen entwickelten, in den Boden des Beweisens eintretenden Inhalt. Die höchste Lehre in Indien, die Wedas, sind aber dort auch äußerlich ein Geheimnis; die Brahmanen sind eigentlich im ausschließenden Besitz und Lesen dieser Bücher das für die anderen Kasten nur etwas Toleriertes ist. Die großen Gedichte Ramajana und Mahabharata scheinen dagegen die Bestimmung zu haben, auch diesem aus dem Eigentume der Brahmanen ausgeschlossenen Teile der Nation die religiösen Kenntnisse zu gewähren, die derselbe freilich nur bis zu einem gewissen Grade und in dem Sinne zu benutzen fähig ist, um welchen sich die ganze Joga-Lehre dreht.
Herr von Humboldt führt ebendaselbst an, daß Colebrooke in seinen Auszügen aus den philosophischen Systemen der Inder (Transactions of the Royal Asiatic Society, Vol. I) von dem Werke Patandschalis (eines mythologisch erscheinenden Wesens), das die Joga-Lehre enthält, nur kurze Andeutungen gebe, so daß sich nicht beurteilen lasse, inwiefern das, was Krischna in der Bhagavad-Gita vorträgt, damit übereinstimme. Die special topics, deren Colebrooke erwähnt, auf welche sich die Meditation in der genannten Lehre ausdehne, mögen wohl Eigentümliches enthalten; allein es läßt sich nicht zweifeln, daß wenigstens die Natur dessen, was Joga heißt, und das letzte Ziel, welches sich darin vorgesetzt ist, der Hauptsache nach auf dieselbe Weise in beiden Darstellungen vorgestellt werde. Schon der Inhalt der vier Kapitel der Joga-Sutras des Patandschali, den jener sorgfältige Gelehrte angibt, sowie einige weitere Anführungen, die er daraus macht, lassen dies schließen, und wir werden auch die besonderen Gesichtspunkte, die der Gegenstand jener Kapitel sind, in dem Inhalte der Gita finden. Ich will sie kurz angeben. Das erste der Kapitel (padu), sagt Colebrooke, handelt von der Beschauung (contemplation), das zweite von den Mitteln, sie zu erlangen; das dritte von der Übung übernatürlicher Macht (exercise of transzendent power, vibhuti), das vierte von der Abstraktion oder geistigen Isolierung. Daß Colebrooke von den special topics der Patandschali-Lehre nichts Näheres anführt, während er von den anderen Lehren sehr ausführliche und bestimmte Auszüge gibt, hat wohl seinen guten Grund; es ist nicht zu vermuten, vielmehr scheint es der Natur der Sache nach eher unmöglich, daß viele andere als uns fremdartige, wilde, abergläubische Dinge, die mit Wissenschaftlichkeit nichts zu tun haben, zu berichten gewesen wären. Auch die Sankhja selbst, welche wesentlich von der Patandschali-Lehre verschieden ist, kommt in ihrem letzten und einzigen Zwecke mit dieser überein und ist darin Joga-Lehre. Nur der Weg weicht voneinander ab, indem die Sankhja ausdrücklich durch die denkende Betrachtung der besonderen Gegenstände und der Kategorien der Natur wie des Geistes zu jenem Ziel fortzuschreiten anweist, die eigentliche Joga-Lehre des Patandschali dagegen ohne solche Vermittlung gewaltsam und auf einmal in diesen Mittelpunkt sich zu versetzen treibt. Ausdrücklich macht Colebrooke den Anfang der Exposition der Sankhja damit, zu sagen, daß der anerkannte Zweck aller Schulen, der theistischen (worunter die Patandschali-Lehre gehört), der atheistischen und mythologischen wie anderer philosophischer Systeme der Inder dieser ist, die Mittel zu lehren, durch welche ewige Seligkeit erlangt werden könne, nach dem Tode oder vor demselben.
Von den Wedas führt Colebrooke dabei nur eine Stelle in dieser Beziehung an; von der Wedanta (der Theologie der Wedas als ihr räsonierender Teil) sagt er, ihr ganzer Zweck sei, eine Erkenntnis zu lehren, durch welche die Befreiung von der Metempsychose erreicht werde, und dies als das große Ziel einzuschärfen, das durch die in jener Theologie angegebenen Mittel zu erlangen sei. Bestimmter gibt derselbe anderwärts (Asiatic Researches IX, p. 289) an, die Anhänger der Wedas glauben, daß die menschliche Seele nicht allein einer vollkommenen Einheit mit dem göttlichen Wesen fähig ist, was durch die Erkenntnis Gottes, wie sie von den Wedas gelehrt wird, erreicht werde, sondern sie haben auch angedeutet, daß durch dieses Mittel die besondere Seele Gott werde, selbst bis zur wirklichen Erlangung der obersten Macht. Sogar in den Aphorismen von Njaja, der Philosophie des Gotama, von welcher Colebrooke im zweiten Aufsatze über die indische Philosophie (Transactions of the Royal Asiatic Society, Vol. I, P. 1) einen ausführlichen Auszug gibt - einer ziemlich trockenen formellen Logik, die der Gegenstand einer unendlichen Menge von Kommentarien in Indien geworden sei -, werde dieselbe Belohnung einer vollkommenen Kenntnis dieser philosophischen Wissenschaft verheißen. Wir dürfen daher mit Recht das, was Joga heißt, für den allgemeinen Mittelpunkt indischer Religion und Philosophie betrachten.
Was nun Joga ist, setzt der Herr Verfasser S. 33 sowohl etymologisch als in dem weiteren Sinne auseinander; auch in der Indischen Bibliothek, Bd. II., Heft 2, S. 248 ff., finden sich interessante Erörterungen sowohl von Herrn von Humboldt als auch von Herrn von Schlegel über die Schwierigkeit der Übersetzung eines solchen Worts. Joga wird also (S. 33) beschrieben als die beharrliche Richtung des Gemüts auf die Gottheit, wodurch es sich von allen anderen Gegenständen, selbst von dem inneren Gedanken zurückzieht, jede Bewegung und Körperverrichtung möglichst hemmt, sich allein und ausschließlich in das Wesen der Gottheit versenkt und sich mit demselben zu verbinden strebt. Herr von Humboldt übersetzt das Wort durch Vertiefung, indem die Insichgekehrtheit das auffallendste Merkmal des im Joga begriffenen Menschen bleibe und darin auch die eigene mystische Gemütsstimmung eines solchen liege; obgleich jede Übertragung eines aus ganz eigentümlicher Ansicht entspringenden Ausdrucks einer Sprache durch ein einzelnes Wort einer anderen mangelhaft bleibe. Letztere Bemerkung enthält wohl die Rechtfertigung des Herrn von Schlegel, der Joga vornehmlich mit devotio übersetzt, wie es auch Langlois und Wilkins mit devotion (Indische Bibliothek, Bd, II., Heft 2, S. 250) geben; sonst gebraucht Herr von Schlegel applicatio, destinatio, exercitatio, wo der Sinn etwa nicht so spezifisch zu sein scheint. Der Herr von Schlegel macht daselbst jedoch den Übelstand bemerklich, daß dem Leser bei allen diesen verschiedenen Ausdrücken der ursprüngliche allgemeine Begriff dieses Wortes fehle, durch den man erst die einzelnen Anwendungen, jede in ihrer Eigentümlichkeit, wahrhaft fassen könne, in welche Bemerkungen Herr von Humboldt mit seiner vollen Kenntnis der Schwierigkeiten des Übersetzens und im tiefen Gefühle der Übersetzerleiden einstimmt. Es widerstreitet gewiß geradezu der Natur der Sache, die Forderung zu machen, daß ein Ausdruck der Sprache eines Volkes, das gegen die unsere eine eigentümliche Sinnesart und Bildung hat, wenn solcher Ausdruck nicht unmittelbar sinnliche Gegenstände wie Sonne, Meer, Baum, Rose usf., sondern einen geistigen Gehalt betrifft, mit einem Ausdruck unserer Sprache wiedergegeben werde, welcher jenem in seiner vollen Bestimmtheit entspreche. Ein Wort unserer Sprache gibt uns unsere bestimmte Vorstellung von solchem Gegenstande und eben damit nicht die des anderen Volkes, das nicht nur eine andere Sprache, sondern andere Vorstellungen hat. Indem der Geist das Gemeinsame aller Völker ist und wenn die Bildung desselben zugleich vorausgesetzt wird, so kann sich die Verschiedenheit nur um das Verhältnis eines Inhalts nach seiner Gattung und deren Bestimmungen, den Arten, drehen. In einer Sprache sind für viele, gewiß nicht für alle Bestimmtheiten etwa besondere Ausdrücke vorhanden, aber etwa nicht für das sie befassende allgemeine Subjekt, oder aber wohl für dieses, und zwar daß der Ausdruck entweder nur auf das Allgemeine eingeschränkt oder auch für den Sinn einer besonderen Art geläufig ist; - so enthält die Zeit zwar sowohl die erfüllte als die leere und die rechte Zeit; darum muß aber tempus doch oft durch "Umstände", "die rechte Zeit" übersetzt werden. Was wir in den Wörterbüchern als verschiedene Bedeutungen eines Wortes angeführt finden, sind meistenteils Bestimmtheiten einer und derselben Grundlage. Wenn auch, wie Herr von Schlegel (Indische Bibliothek, Bd. II, Heft 2, S. 257) sagt, die europäischen Völker in Absicht auf die Sprachen und auf Geschmack, gesellige und wissenschaftliche Bildung eine große Familie ausmachen, so geht die Verschiedenheit ihrer Sprachen dennoch zu der angegebenen Abweichung fort und macht an einem Übersetzer die Eigenschaften notwendig, welche allein der Schwierigkeit auf eine Weise abhelfen können, wie Herr von Schlegel es in den mannigfaltigsten Proben geleistet, gebildeten Takt und geistreiches Talent.
Herr von Humboldt bemerkt (ebenda S. 250) gegen die französische Übersetzung des Ausdrucks Joga mit devotion und die lateinische mit devotio, daß sie die Eigentümlichkeit der Joga nicht bezeichnen; in der Tat drücken sie nicht die allgemeine Bestimmung für sich und sie nur in einer Modifikation aus, die nicht im Joga enthalten ist. Der deutsche Ausdruck Vertiefung, dessen sich der höchstverehrte Herr Verfasser bedient, zeigt sich sogleich als bedeutend und passend; er drückt die allgemeine Bestimmtheit aus, welche Joga überhaupt bedeutet und für die (S. 41) destinatio, applicatio paßt. Joga aber hat insbesondere die eigentümliche Bedeutung, welche für die Kenntnis des Ausgezeichneten der indischen Religionen das Interessante ist. Wilkins (S. 140 seiner Übersetzung in den Anm.) sagt nach der Erwähnung der unmittelbaren und der allgemeinen Bedeutung von junction und bodily or mental application, daß es in der Bhagavad-Gita "is generally used as a theological term, to express the application of the mind in spiritual things, and the performance of religious ceremonies". Diese spezifische Bedeutung zeigt sich hiermit, im Ausdrucke der allgemeinen Grundlage die überwiegende zu sein. Unsere Sprache kann nicht wohl ein Wort besitzen, welches solcher Bestimmung entspräche, weil die Sache nicht in unserer Bildung und Religion liegt. Der passende Ausdruck Vertiefung geht darum gleichfalls nicht so weit; Joga in jener Eigentümlichkeit ist weder Vertiefung in einen Gegenstand überhaupt, wie man sich in die Anschauung eines Gemäldes oder in einen wissenschaftlichen Gegenstand vertieft, noch Vertiefung in sich selbst, d. i. in seinen konkreten Geist, in die Empfindungen oder Wünsche desselben usf. Joga ist vielmehr eine Vertiefung ohne allen Inhalt, ein Aufgeben jeder Aufmerksamkeit auf äußere Gegenstände, der Geschäftigkeit der Sinne ebensosehr als das Schweigen jeder inneren Empfindung, der Regung eines Wunsches oder der Hoffnung oder Furcht, die Stille aller Neigungen und Leidenschaften wie die Abwesenheit aller Bilder, Vorstellungen und aller bestimmten Gedanken. Insofern diese Erhebung nur als ein momentaner Zustand betrachtet wird, würden wir ihn Andacht nennen können; allein unsere Andacht kommt aus einem konkreten Geiste und ist an einen inhaltsvollen Gott gerichtet, ist inhaltsvolles Gebet, eine erfüllte Bewegung des religiösen Gemüts. Die Joga*) könnte man darum nur abstrakte Andacht nennen, weil sie sich nur in die vollkommene Inhaltslosigkeit des Subjekts und des Gegenstandes und damit gegen die Bewußtlosigkeit hin steigert.
Um zum Bestimmten überzugehen, so ist sogleich zu bemerken, daß diese Abstraktion nicht als eine vorübergehende Spannung verstanden wird, sondern sie wird als habituelle Stimmung und Charakter des Geistes, wie die Andacht zur Frömmigkeit überhaupt werden soll, gefordert. Der Weg zu diesem konstanten Versenktsein des Geistes hat verschiedene Stufen und damit verschiedene Werte. Aus Tausenden von Sterblichen strebt kaum einer nach Vollendung, und von den Strebenden und Vollendeten ist kaum einer, der mich vollkommen kennt, sagt Krischna (Bhag. VII, 3). Die untergeordneten Vollendungen (denn so muß man nach dem eben angeführten Ausspruch reden) zu bezeichnen und ihren Wert unter den der höchsten Vollendung zu setzen, macht einen Hauptinhalt der Bhagavad-Gita aus. Der Vortrag fällt jedoch vornehmlich immer in die Wiederholung des allgemeinen Gebots, sich in Krischna zu versenken, zurück, die Mühe, die Herr von Humboldt übernommen, das Verwandte, im Gedicht so sehr Zerstreute zusammenzustellen, erleichtert es, diesen Unterschieden nachgehen zu können.
Daß die Richtung des Geistes auf Krischna den Charakter durchdrungen habe, wird sogleich zu der Gleichgültigkeit gegen die Früchte der Handlungen gefordert, von welcher im ersten Artikel gesprochen worden und die in den ersten Lektionen des Gedichts vornehmlich eingeschärft wird (s. Herr von Humboldt S. 5 ff.). Diese Verzichtleistung auf den Erfolg ist nicht ein Enthalten vom Handeln selbst, setzt dasselbe vielmehr voraus. Jene Verzichtleistung wird aber XII, 11 als die niedrigste Stufe der Vollendung ausgesprochen. Wenn du, sagt Krischna daselbst, nicht einmal das Vorhergehende (was dies sei, davon sogleich) zu erreichen vermagst, so tu, mich vor Augen habend, in Bescheidenheit auf die Früchte der Handlungen Verzicht.
Wenn dies Absehen von dem Erfolg der Handlungen einerseits ein Element sittlicher Gesinnung ist, so ist es in dieser Allgemeinheit zugleich unbestimmt und darum formeller und selbst zweideutiger Natur. Denn Handeln heißt nichts anderes, als irgendeinen Zweck zustande bringen; damit etwas heraus-, damit es zu einem Erfolg komme, wird gehandelt. Die Verwirklichung des Zwecks ist ein Gelingen daß die Handlung Erfolg hat, ist eine Befriedigung, eine von der vollführten Handlung untrennbare Frucht. Zwischen das Handelnde und das Erreichen des Zwecks kann sich Trennendes einschieben, und das Handeln aus Pflicht wird in vielen Fällen zum voraus sogar wissen, daß es keinen äußerlichen Erfolg haben kann; aber die Pflicht ist etwas anderes als jene bloß negative Gleichgültigkeit gegen den Erfolg. Je sinnloser und stumpfer ein opus operatum vollbracht wird, eine desto größere Gleichgültigkeit gegen den Erfolg ist darin vorhanden.
*)Es mag erlaubt sein, die Joga zu sagen im Sinne des deutschen femininen Artikels, mit dem Qualitäten meist bezeichnet zu werden pflegen.
( G.W.F.Hegel Rezensionen aus den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik Über die unter dem Namen Bhagavad-Gita bekannte Episode des Mahabharata von Wilhelm von Humboldt Berlin 1826 ) 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7
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