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G.W.F. Hegel

Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes

Sechste Vorlesung

Die Fragen und Untersuchungen über das Formelle des Erkennens betrachten wir nun als abgetan oder auf die Seite gestellt.
Es ist damit auch dies entfernt worden, daß die zu machende Darlegung dessen, was die metaphysischen Beweise des Daseins Gottes genannt worden ist, nur in ein negatives Verhalten gegen sie ausschlagen sollte.
Die Kritik, die auf ein nur negatives Resultat führt, ist ein nicht bloß trauriges Geschäft, sondern sich darauf beschränken, von einem Inhalt nur zeigen,
daß er eitel ist, ist selbst ein eitles Tun, eine Bemühung der Eitelkeit.
Daß wir einen affirmativen Gehalt zugleich in der Kritik gewinnen sollen, ist darin ausgesprochen, wie wir jene Beweise als ein denkendes Auffassen dessen ausgesprochen haben, was die Erhebung des Geistes zu Gott ist.

Ebenso soll auch diese Betrachtung nicht historisch sein; teils muß ich der Zeit wegen, die es nicht anders gestattet, für das Literarische auf Geschichten der Philosophie verweisen,
und zwar kann man dem Geschichtlichen dieser Beweise die größte, ja eine allgemeine Ausdehnung geben, indem jede Philosophie mit der Grundfrage oder mit Gegenständen, die in der nächsten Beziehung darauf stehen, zusammenhängt.
Es hat aber Zeiten gegeben, wo diese Materie mehr in der ausdrücklichen Form dieser Beweise behandelt worden ist und das Interesse, den Atheismus zu widerlegen, ihnen die größte Aufmerksamkeit und ausführliche Behandlung verschafft hat,
- Zeiten, wo
denkende Einsicht selbst in der Theologie für solche ihrer Teile, die einer vernünftigen Erkenntnis fähig seien, für unerläßlich gehalten worden.

Ohnehin kann und soll das Historische einer Sache, welche ein substantieller Inhalt für sich ist,
ein Interesse haben, wenn man mit der Sache selbst im reinen ist, und die Sache,
von der hier die Betrachtung angestellt werden soll, verdient es vor allem auch,
daß sie für sich vorgenommen wird, ohne ihr erst ein Interesse durch ein anderweitiges,
außer ihr selbst liegendes Material geben zu wollen.
Die überwiegende Geschäftigkeit mit dem Historischen von Gegenständen,
welche ewige Wahrheiten des Geistes für sich selber sind, ist vielmehr zu mißbilligen; denn sie ist nur zu häufig eine Vorspiegelung, mit der man sich über sein Interesse täuscht.
Solche historische Geschäftigkeit bringt sich den Schein hervor,
mit der Sache zu tun zu haben, während man sich vielmehr nur mit den Vorstellungen und Meinungen anderer, mit den äußerlichen Umständen, dem, was für die Sache das Vergangene, Vergängliche, Eitle ist, zu tun macht.
Man kann wohl die Erscheinung haben, daß geschichtlich Gelehrte mit sogenannter Gründlichkeit ausführlich in dem bewandert sind, was berühmte Männer, Kirchenväter, Philosophen usf. über Fundamentalsätze der Religion vorgebracht haben, aber daß dagegen ihnen selbst die Sache fremd geblieben ist, und wenn sie gefragt würden, was sie dafür halten, welches die Überzeugung der Wahrheit sei, die sie besitzen, so möchten sie sich über solche Frage wundern als etwas, um das es sich hierbei nicht handle, sondern nur um
andere und ein Statuieren und Meinen und um die Kenntnis nicht einer Sache, sondern des Statuierens und Meinens.

Es sind die metaphysischen Beweise, die wir betrachten. Dies bemerke ich noch insofern, als auch ein Beweisen vom Dasein Gottes ex consensu gentium aufgeführt zu werden pflegte, - eine populäre Kategorie, über welche schon Cicero beredt gewesen ist. Es ist eine ungeheure Autorität, zu wissen: dies haben alle Menschen sich vorgestellt, geglaubt, gewußt. Wie wollte sich ein Mensch dagegen aufstellen und sprechen: Ich allein widerspreche allem dem, was alle Menschen sich vorstellen, was viele derselben durch den Gedanken als das Wahre eingesehen, was alle als das Wahre fühlen und glauben.
- Wenn wir zunächst von der Kraft solchen Beweisens abstrahieren und den trocknen Inhalt desselben aufnehmen, der eine empirische,
geschichtliche Grundlage sein soll, so ist diese ebenso unsicher als unbestimmt. Es geht mit diesen allen Völkern, allen Menschen, welche an Gott glauben sollen, wie mit dergleichen Berufungen auf Alle überhaupt: sie pflegen sehr leichtsinnig gemacht zu werden. Es wird eine Aussage, und zwar eine empirisch sein sollende Aussage von allen Menschen, und dies von allen Einzelnen, und damit aller Zeiten und Orte, ja genau genommen auch den zukünftigen
- denn es sollen
alle Menschen sein - gemacht; es kann selbst nicht von allen Völkern geschichtlicher Bericht gegeben werden; solche Aussagen von allen Menschen sind für sich absurd und sind nur durch die Gewohnheit, es mit solchen nichtssagenden Redensarten, weil sie zu Tiraden dienen, nicht ernstlich zu nehmen, erklärlich. Abgesehen hiervon, so hat man wohl Völker oder, wenn man will, Völkerschaften gefunden, deren dumpfes, auf wenige Gegenstände des äußerlichen Bedürfnisses beschränktes Bewußtsein sich nicht zu einem Bewußtsein von einem Höheren überhaupt, das man Gott nennen möchte, erhoben hatte; in Ansehung vieler Völker beruht das, was ein Geschichtliches von ihrer Religion sein sollte, vornehmlich auf ungewisser Erklärung sinnlicher Ausdrücke, äußerlicher Handlungen und dergleichen. Bei einer sehr großen Menge von Nationen, selbst sonst sehr gebildeten, deren Religion uns auch bestimmter und ausführlicher bekannt ist, ist das, was sie Gott nennen, von solcher Beschaffenheit, daß wir Bedenken tragen können, es dafür anzuerkennen.
Über die Namen Tien und Schang-ti, jenes
Himmel, dieses Herr, in der chinesischen Staatsreligion ist der bitterste Streit zwischen katholischen Mönchsorden geführt worden, ob diese Namen für den christlichen Gott gebraucht werden können, d. h. ob durch jene Namen nicht Vorstellungen ausgedrückt werden, welche unseren Vorstellungen von Gott ganz und gar zuwider seien, so daß sie nichts Gemeinschaftliches, nicht einmal das gemeinschaftliche Abstraktum von Gott enthielten.
Die Bibel bedient sich des Ausdrucks: 
"Die Heiden,
die von Gott nichts wissen",
obgleich diese Heiden Götzendiener waren,
d. h., wie man es wohl nennt, eine Religion hatten,
wobei wir jedoch Gott von einem Götzen unterscheiden und bei aller modernen Weite des Namens Religion uns vielleicht doch scheuen, einem Götzen den Namen Gott zu geben.
Werden wir den Apis der Ägypter, den Affen, die Kuh usf. der Inder usw. Gott nennen wollen?
Wenn auch von der Religion dieser Völker gesprochen und ihnen damit mehr als ein Aberglauben zugeschrieben wird, kann man doch Bedenken tragen, vom Glauben an Gott bei ihnen zu sprechen,
oder Gott wird zu der völlig unbestimmten Vorstellung eines Höheren ganz überhaupt, nicht einmal eines Unsichtbaren, Unsinnlichen.
Man kann dabei stehenbleiben, eine schlechte, falsche Religion immer noch eine Religion zu nennen, und es sei besser, daß die Völker eine falsche Religion haben als gar keine (wie man von einer Frau sagt, die auf die Klage, daß es schlecht Wetter sei, erwidert habe, daß solches Wetter immer noch besser sei als gar kein Wetter). Es hängt dies damit zusammen, daß der Wert der Religion allein in das Subjektive, Religion zu haben, gesetzt wird, gleichgültig mit welcher Vorstellung von Gott; so gilt der Glaube an Götzen, weil ein solcher unter das Abstraktum von Gott überhaupt subsumiert werden kann, schon für hinreichend, wie das Abstraktum von Gott überhaupt befriedigend ist. Dies ist wohl auch der Grund, warum solche Namen wie Götzen, auch Heiden, etwas Antiquiertes sind und für ein wegen Gehässigkeit Tadelnswürdiges gelten.
In der Tat aber erfordert der abstrakte Gegensatz von Wahrheit und Falschheit eine viel andere Erledigung als in dem Abstraktum von Gott überhaupt oder, was auf dasselbe hinausläuft, in der bloßen Subjektivität der Religion.

Auf allen Fall bleibt so der consensus gentium im Glauben an Gott eine dem darin ausgesagten Faktischen als solchem wie dem Gehalte nach völlig vage Vorstellung.
Aber auch die
Kraft dieses Beweises, wenn die geschichtliche Grundlage auch etwas Festeres wäre und Bestimmteres enthielte, ist für sich nicht bindend.
Solche Art des Beweisens geht nicht auf eigene innere Überzeugung, als für welche es etwas Zufälliges ist, ob andere damit übereinstimmen.
Die Überzeugung, ob sie Glaube oder denkendes Erkennen sei, nimmt wohl ihren Anfang von außen mit Unterricht und Lernen, von der Autorität, aber sie ist wesentlich ein
Sicherinnern des Geistes in sich selbst;
daß
er selbst befriedigt sei, ist die formelle Freiheit des Menschen und das eine Moment, vor welchem alle Autorität vollständig niedersinkt,
und daß er in der
Sache befriedigt sei, ist die reelle Freiheit und das andere,
vor welchem selbst ebenso alle Autorität niedersinkt; sie sind wahrhaft untrennbar.
Selbst für den Glauben ist für die einzig absolut gültige Bewährung in der Schrift nicht Wunder, glaubhafter Bericht und dergleichen, sondern das Zeugnis des Geistes angegeben.
Über andere Gegenstände mag man auf Zutrauen oder aus Furcht sich der Autorität hingeben, aber jenes Recht ist zugleich die höhere Pflicht für denselben.
Für eine solche Überzeugung wie religiöser Glaube, wo das Innerste des Geistes sowohl der Gewißheit seiner selbst (dem Gewissen) nach als durch den Inhalt in direkten Anspruch genommen wird, hat er eben damit das absolute Recht, daß sein eigenes Zeugnis, nicht fremder Geister, das Entscheidende, Vergewissernde sei.

Das metaphysische Beweisen, das wir hier betrachten, ist das Zeugnis des denkenden Geistes,
insofern derselbe nicht nur an sich, sondern
für sich denkend ist.
Der Gegenstand, den es betrifft, ist wesentlich im Denken; wenn er, wie früher bemerkt worden, auch
fühlend, vorstellend genommen wird, so gehört sein Gehalt dem Denken an, als welches das reine Selbst desselben ist, wie das Gefühl das empirische, besondert-wordene Selbst ist.
Es ist also früh dazu fortgegangen worden, in Ansehung dieses Gegenstandes
denkend, zeugend, d. i. beweisend sich zu verhalten, sobald nämlich das Denken aus seinem Versenktsein in das sinnliche und materielle Anschauen und Vorstellen vom Himmel, der Sonne, Sternen, Meer usf. sich wie aus seiner Verhüllung in die vom Sinnlichen noch durchdrungenen Phantasiegebilde herauswand,
so daß ihm Gott als wesentlich zu
denkende und gedachte Objektivität zum Bewußtsein kam, und ebenso das subjektive Tun des Geistes aus dem Fühlen, Anschauen und der Phantasie sich zu seinem Wesen, dem Denken,
erinnerte und, was Eigentum dieses seines Bodens ist, auch rein, wie es in diesem seinem Boden ist, vor sich haben wollte.

Die Erhebung des Geistes zu Gott im Gefühle, im Anschauen, Phantasie und im Denken
- und sie ist subjektiv so konkret, daß sie von allen diesen Momenten in sich hat
- ist eine innere Erfahrung; über solche haben wir gleichfalls die innere Erfahrung,
daß sich Zufälligkeit und Willkür einmischt. Es begründet sich damit äußerlich das Bedürfnis,
jene Erhebung auseinanderzulegen und die in ihr enthaltenen Akte und Bestimmungen zum deutlichen Bewußtsein zu bringen, um sich von den anderen Zufälligkeiten und von der Zufälligkeit des Denkens selbst zu reinigen; und nach dem alten Glauben, daß nur durch das Nachdenken das Substantielle und Wahre gewonnen werde, bewirken wir die Reinigung jener Erhebung zur Wesentlichkeit und Notwendigkeit durch die denkende Exposition derselben und geben dem Denken, das das absolute Recht, noch ein ganz anderes Recht der Befriedigung hat als das Fühlen und Anschauung oder Vorstellen, diese Befriedigung.

 

 

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