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G.W.F. Hegel

Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes

Fünfte Vorlesung

Um das Bisherige zusammenzufassen, sagen wir:
Unser Herz soll sich nicht vor dem Erkennen scheuen; die Bestimmtheit des Gefühls,
der Inhalt des Herzens soll Gehalt haben; Gefühl, Herz soll von der Sache erfüllt und damit weit und wahrhaft sein; die Sache aber, der Gehalt ist nur die Wahrheit des göttlichen Geistes,
das an und für sich Allgemeine, aber eben damit nicht das abstrakte,
sondern dasselbe wesentlich in seiner, und zwar eigenen Entwicklung; der Gehalt ist so wesentlich an sich Gedanke und im Gedanken.
Der Gedanke aber, das Innerste des Glaubens selbst, daß er als der wesentliche und wahrhafte gewußt werde - insofern der Glaube nicht mehr nur im Ansich steht, nicht mehr unbefangen, sondern in die Sphäre des Wissens, in dessen Bedürfnis oder Prätention getreten ist -,
muß zugleich als ein notwendiger gewußt werden, ein Bewußtsein seiner und des Zusammenhangs seiner Entwicklung erwerben; so breitet er sich beweisend aus, denn Beweisen überhaupt heißt nichts, als des Zusammenhangs und damit der Notwendigkeit bewußt werden und,
in unserem Vorhaben,
des besonderen Inhaltes im an und für sich Allgemeinen wie dieses absoluten Wahren selbst als des Resultates und damit der letzten Wahrheit alles besonderen Inhalts.
Dieser vor dem Bewußtsein liegende Zusammenhang soll nicht ein subjektives Ergehen des Gedankens außerhalb der Sache sein, sondern nur dieser selbst folgen,
nur sie, ihre Notwendigkeit selbst exponieren.
Solche Exposition der objektiven Bewegung, der inneren eigenen Notwendigkeit des Inhalts ist das Erkennen selbst, und ein wahrhaftes als in der Einheit mit dem Gegenstande.
Dieser Gegenstand soll für uns die Erhebung unseres Geistes zu Gott sein, - die soeben genannte Notwendigkeit der absoluten Wahrheit als des Resultates, in das sich im Geiste alles zurückführt.

Aber das Nennen dieses Zwecks, weil er den Namen Gottes enthält,
kann leicht die Wirkung haben, das wieder zu vernichten, was gegen die falschen Vorstellungen von dem Wissen, Erkennen, Fühlen gesagt worden und für den Begriff wahrhaften Erkennens gewonnen worden sein könnte.
Es ist bemerkt worden, daß die Frage über die Fähigkeit unserer Vernunft, Gott zu erkennen,
auf das Formelle, nämlich auf die Kritik des Wissens, des Erkennens überhaupt,
auf die Natur des Glaubens, Fühlens gestellt worden ist, so daß abstrahiert vom Inhalt diese Bestimmungen genommen werden sollen;
es ist die Behauptung des unmittelbaren Wissens, welche selbst mit der Frucht von dem Baume der Erkenntnis im Munde spricht und die Aufgabe auf den formellen Boden zieht, indem sie die Berechtigung solchen und ausschließlich solchen Wissens auf die Reflexionen gründet, die es über das Beweisen und Erkennen macht, und schon darum den unendlichen wahrhaften Inhalt außer der Betrachtung setzen muß, weil es nur bei der Vorstellung eines endlichen Wissens und Erkennens verweilt.
Wir haben solcher Voraussetzung von nur endlichem Wissen und Erkennen das Erkennen so gegenübergestellt, daß es sich nicht außerhalb der Sache halte, sondern, ohne von sich aus Bestimmungen einzumischen, nur dem Gange der Sache folge,
und in dem Gefühl und Herzen den Gehalt nachgewiesen, der überhaupt wesentlich für das Bewußtsein sei, und für das denkende Bewußtsein, insofern dessen Wahrheit in seinem Innersten durchgeführt werden soll.
Aber durch die Erwähnung des Namens Gottes wird dieser Gegenstand, das Erkennen überhaupt,
wie es bestimmt werde, und auch dessen Betrachtung auf diese subjektive Seite herabgedrückt,
gegen welche Gott ein Drüben bleibe.
Da solcher Seite durch das Bisherige die Genüge geschehen sein soll,
die hier mehr angedeutet als ausgeführt werden konnte, so wäre nur das andere zu tun,
das Verhältnis Gottes aus der Natur desselben in und zu der Erkenntnis anzugeben.
Hierüber kann zunächst bemerkt werden, daß unser Thema, die Erhebung des subjektiven Geistes zu Gott, unmittelbar es enthält, daß in ihr sich das Einseitige des Erkennens, d. i. seine Subjektivität aufhebt, sie wesentlich selbst dies Aufheben ist; somit führt sich darin die Erkenntnis der anderen Seite, die Natur Gottes, und zugleich sein Verhalten in und zu dem Erkennen von selbst herbei.

Aber ein Übelstand des Einleitenden und Vorläufigen, das doch gefordert wird, ist auch dieser,
daß es durch die wirkliche Abhandlung des Gegenstandes überflüssig wird.
 Doch ist zum voraus anzugeben, daß es hier nicht die Absicht sein kann, unsere Abhandlung bis zu dieser mit ihr aufs nächste zusammenhängenden Erörterung des Selbstbewußtseins Gottes und des Verhältnisses seines Wissens von sich zum Wissen seiner in und durch den Menschengeist fortzuführen.
Ohne auf die abstrakteren systematischen Ausführungen, die in meinen anderen Schriften über diesen Gegenstand gegeben sind, hier zu provozieren, kann ich darüber auf eine neuerliche, höchst merkwürdige Schrift verweisen: Aphorismen über Nichtwissen und absolutes Wissen im Verhältnisse zur christlichen Glaubenserkenntnis, von C. Fr. G.....l. *)
Sie nimmt Rücksicht auf meine philosophischen Darstellungen und enthält ebensoviel Gründlichkeit im christlichen Glauben als Tiefe in der spekulativen Philosophie. Sie beleuchtet alle Gesichtspunkte und Wendungen, welche der Verstand gegen das erkennende Christentum aufbringt, und beantwortet die Einwürfe und Gegenreden, welche die Theorie des Nichtwissens gegen die Philosophie aufgestellt hat;
sie zeigt insbesondere auch den Mißverstand und Unverstand auf, den das fromme Bewußtsein sich zuschulden kommen läßt, indem es sich auf die Seite des aufklärenden Verstandes in dem Prinzipe des Nichtwissens schlägt und so mit demselben gemeinschaftliche Sache gegen die spekulative Philosophie macht.
Was daselbst über das Selbstbewußtsein Gottes, das Sichwissen seiner im Menschen, das Sichwissen des Menschen in Gott vorgetragen ist, betrifft unmittelbar den Gesichtspunkt, der soeben angedeutet worden,
in spekulativer Gründlichkeit mit Beleuchtung der falschen Verständnisse, die darüber gegen die Philosophie wie gegen das Christentum erhoben worden.

Aber auch bei den ganz allgemeinen Vorstellungen, an die wir uns hier halten wollen, um noch von Gott aus über das Verhältnis desselben zum menschlichen Geiste zu sprechen, treffen wir am allermeisten auf die solchem Vorhaben widersprechende Annahme, daß wir Gott nicht erkennen, auch im Glauben an ihn nicht wissen, was er ist, also von ihm nicht ausgehen können.
Von Gott den Ausgang nehmen, würde voraussetzen, daß man anzugeben wüßte und angegeben hätte,
was Gott an ihm selbst ist, als erstes Objekt. Jene Annahme erlaubt aber nur von unserer Beziehung auf ihn, von der Religion zu sprechen, nicht von Gott selbst; sie läßt nicht eine Theologie, eine Lehre von Gott gelten, wohl aber eine Lehre von der Religion.
Wenn es auch nicht gerade eine solche Lehre ist, so hören wir viel, unendlich viel - oder vielmehr in unendlichen Wiederholungen doch wenig - von Religion sprechen, desto weniger von Gott selbst; dies perennierende Explizieren über Religion, die Notwendigkeit, auch Nützlichkeit usf. derselben, verbunden mit der unbedeutenden oder selbst untersagten Explikation über Gott, ist eine eigentümliche Erscheinung der Geistesbildung der Zeit. Wir kommen am kürzesten ab, wenn wir selbst uns diesen Standpunkt gefallen lassen, so daß wir nichts vor uns haben als die trockene Bestimmung eines Verhältnisses, in dem unser Bewußtsein zu Gott stehe.
So viel soll die Religion doch sein, daß sie ein Ankommen unseres Geistes bei diesem Inhalte, unseres Bewußtseins bei diesem Gegenstande sei, nicht bloß ein Ziehen von Linien der Sehnsucht ins Leere hinaus, ein Anschauen, welches nichts anschaue, nichts sich gegenüber finde. In solchem Verhältnis ist wenigstens so viel enthalten, daß nicht nur wir in der Beziehung zu Gott stehen, sondern auch Gott in der Beziehung zu uns stehe.
Im Eifer für die Religion wird etwa, wenigstens vorzugsweise, von unserem Verhältnis zu Gott gesprochen, wenn nicht selbst ausschließlich, was im Prinzip des Nichtwissens von Gott eigentlich konsequent wäre; ein einseitiges Verhältnis ist aber gar kein Verhältnis.
Wenn in der Tat unter der Religion nur ein Verhältnis von uns aus zu Gott verstanden werden sollte,
so würde nicht ein selbständiges Sein Gottes zugelassen; Gott wäre nur in der Religion, ein von uns Gesetztes, Erzeugtes. Der soeben gebrauchte und getadelte Ausdruck,
daß Gott nur in der Religion sei, hat aber auch den großen und wahrhaften Sinn,
daß es zur Natur Gottes in dessen vollkommener, an und für sich seiender Selbständigkeit gehöre,
für den Geist des Menschen zu sein, sich demselben mitzuteilen; dieser Sinn ist ein ganz anderer als der vorhin bemerklich gemachte, in welchem Gott nur ein Postulat, ein Glauben ist. Gott ist und gibt sich im Verhältnis zum Menschen.
Wird dies "Ist" mit immer wiederkehrender Reflexion auf das Wissen darauf beschränkt,
daß wir wohl wissen oder erkennen, daß Gott ist, nicht was er ist, so heißt dies,
es sollen keine Inhaltsbestimmungen von ihm gelten; so wäre nicht zu sprechen: wir wissen,
daß Gott ist, sondern nur das Ist;
denn das Wort Gott führt eine Vorstellung und damit einen Gehalt, Inhaltsbestimmungen mit sich;
ohne solche ist Gott ein leeres Wort. Werden in der Sprache dieses Nichtwissens die Bestimmungen,
die wir noch sollen angeben können, auf negative beschränkt, wofür eigentümlich das Unendliche dient - es sei das Unendliche überhaupt oder auch sogenannte Eigenschaften in die Unendlichkeit ausgedehnt -,
so gibt dies eben das nur unbestimmte Sein, das Abstraktum, etwa des höchsten oder unendlichen Wesens, was ausdrücklich unser Produkt, das Produkt der Abstraktion, des Denkens ist, das nur Verstand bleibt.

Wenn nun Gott nicht bloß in ein subjektives Wissen, in den Glauben gestellt wird,
sondern es Ernst damit wird, daß er ist, daß er für uns ist, von seiner Seite ein Verhältnis zu uns hat,
und wenn wir bei dieser bloß formellen Bestimmung stehenbleiben, so ist damit gesagt,
daß er sich den Menschen mitteilt, womit eingeräumt wird, daß Gott nicht neidisch ist.
Die ganz Alten unter den Griechen haben den Neid zum Gott gemacht in der Vorstellung,
daß Gott überhaupt, was groß und hoch ist, herabsetze und alles gleich haben wolle und mache.
Platon und Aristoteles haben der Vorstellung von einem göttlichen Neid widersprochen,
noch mehr tut es die christliche Religion, welche lehrt,
daß Gott sich zu dem Menschen herabgelassen habe bis zur Knechtsgestalt,
- daß er sich ihm geoffenbart, daß er damit das Hohe nicht nur,
sondern das Höchste dem Menschen nicht nur gönne,
sondern eben mit jener Offenbarung es demselben zum Gebote mache, und als das Höchste ist damit angegeben, Gott zu erkennen.
Ohne uns auf diese Lehre des Christentums zu berufen, können wir dabei stehenbleiben,
daß Gott nicht neidisch ist, und fragen: wie sollte er sich nicht mitteilen?
In Athen, wird berichtet, war ein Gesetz, daß, wer sich weigere, an seinem Lichte einen anderen das seinige anzünden zu lassen, mit dem Tode bestraft werden sollte.
Schon im physischen Lichte ist von dieser Art der Mitteilung,
daß es sich verbreitet und anderem hingibt, ohne an ihm selbst vermindert zu sein und etwas zu verlieren; noch mehr ist die Natur des Geistes, selbst ganz in dem Besitze des Seinigen zu bleiben, indem er in dessen Besitz andere setzt.
An Gottes unendliche Güte in der Natur glauben wir, indem er die natürlichen Dinge,
die er in der unendlichen Profusion ins Dasein ruft, einander, und dem Menschen insbesondere,
überläßt; er sollte nur solch Leibliches, das auch sein ist, dem Menschen mitteilen und sein Geistiges ihm vorenthalten und ihm das verweigern, was dem Menschen diesen allein wahrhaften Wert geben kann?
Es ist ebenso ungereimt, dergleichen Vorstellungen Raum geben zu wollen, als es ungereimt ist,
von der christlichen Religion zu sagen,
daß durch sie Gott den Menschen geoffenbart worden sei, und doch, was ihnen geoffenbart worden sei, s
ei dies, daß er nicht offenbar sei und nicht geoffenbart worden sei.

Von seiten Gottes kann dem Erkennen desselben durch die Menschen nichts im Wege stehen.
Daß sie Gott nicht erkennen können, ist dadurch aufgehoben, wenn sie zugeben,
daß Gott ein Verhältnis zu uns hat, daß, indem unser Geist ein Verhältnis zu ihm hat,
Gott für uns ist,
wie es ausgedrückt worden, daß er sich mitteile und geoffenbart habe.
In der Natur soll Gott sich offenbaren; aber der Natur, dem Steine, der Pflanze, dem Tiere kann Gott sich nicht offenbaren, weil Gott Geist ist, nur dem Menschen, der denkend, Geist ist.
Wenn dem Erkennen Gottes von seiner Seite nichts entgegensteht, so ist es menschliche Willkür, Affektation der Demut, oder was es sonst sei, wenn die Endlichkeit der Erkenntnis, die menschliche Vernunft nur im Gegensatze gegen die göttliche, die Schranken der menschlichen Vernunft als schlechthin feste, als absolute fixiert und behauptet werden.
Denn dies ist eben darin entfernt, daß Gott nicht neidisch sei, sondern sich geoffenbart habe und offenbare; es ist das Nähere darin enthalten, daß nicht die sogenannte menschliche Vernunft und ihre Schranke es ist, welche Gott erkennt, sondern der Geist Gottes im Menschen; es ist, nach dem vorhin angeführten spekulativen Ausdruck, Gottes Selbstbewußtsein, welches sich in dem Wissen des Menschen weiß.

Dies mag genügen, über die Hauptgesichtspunkte, die in der Atmosphäre der Bildung unserer Zeit umherschwimmen, als die Ergebnisse der Aufklärung und eines sich Vernunft nennenden Verstandes bemerkt zu haben; es sind die Vorstellungen, die uns bei unserem Vorhaben, uns mit der Erkenntnis Gottes überhaupt zu beschäftigen, zum voraus sogleich in den Weg treten. Es konnte nur darum zu tun sein, die Grundmomente der Nichtigkeit der dem Erkennen widerstehenden Kategorien aufzuweisen, nicht das Erkennen selbst zu rechtfertigen. Dieses hat als wirkliches Erkennen seines Gegenstandes sich zugleich mit dem Inhalt zu rechtfertigen.

*) *Berlin [1829] bei E. Franklin [Verfasser ist Karl Friedrich Göschel, 1781-1861]

 

 

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