|
HEGEL - Religion
G.W.F. Hegel
Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes
Vierte Vorlesung
Die Form des Gefühls ist eng mit dem bloßen Glauben als solchem, wie in der vorhergehenden Vorlesung gezeigt worden, verwandt; sie ist das noch intensivere Zurückdrängen des Selbstbewußtseins in sich, die Entwicklung des Inhalts zur bloßen Gefühlsbestimmtheit.
Die Religion muß gefühlt werden, muß im Gefühl sein, sonst ist sie nicht Religion; der Glaube kann nicht ohne Gefühl sein, sonst ist er nicht Religion. - Dies muß als richtig zugegeben werden; denn das Gefühl ist nichts anderes als meine Subjektivität in ihrer Einfachheit und Unmittelbarkeit, ich selbst als diese seiende Persönlichkeit. Habe ich die Religion nur als Vorstellung - auch der Glaube ist Gewißheit von Vorstellungen -, so ist ihr Inhalt vor mir, er ist noch Gegenstand gegen mich, ist noch nicht identisch mit mir als einfachem Selbst; ich bin nicht durchdrungen von ihm, so daß er meine qualitative Bestimmtheit ausmachte. Es ist die innigste Einheit des Inhalts des Glaubens mit mir gefordert, auf daß ich Gehalt, seinen Gehalt habe. So ist er mein Gefühl. Gegen die Religion soll der Mensch nichts für sich zurückbehalten, denn sie ist die innerste Region der Wahrheit; so soll sie nicht nur dies noch abstrakte Ich, welches selbst als Glauben noch Wissen ist, sondern das konkrete Ich in seiner einfachen, das Alles desselben in sich befassenden Persönlichkeit besitzen; das Gefühl ist diese in sich ungetrennte Innigkeit.
Das Gefühl wird jedoch mit der Bestimmtheit verstanden, daß es etwas Einzelnes, einen einzelnen Moment Dauerndes, sowie ein Einzelnes in der Abwechslung mit anderem nach ihm oder neben ihm sei; das Herz hingegen bezeichnet die umfassende Einheit der Gefühle nach ihrer Menge wie nach der Dauer; es ist der Grund, der ihre Wesentlichkeit außerhalb der Flüchtigkeit des erscheinenden Hervortretens in sich befaßt und aufbewahrt enthält. In dieser ungetrennten Einheit derselben - denn das Herz drückt den einfachen Puls der lebendigen Geistigkeit aus - vermag die Religion den unterschiedenen Gehalt der Gefühle zu durchdringen und zu ihrer sie haltenden, bemeisternden, regierenden Substanz zu werden.
Damit aber sind wir von selbst sogleich auf die Reflexion geführt, daß das Fühlen und das Herz als solches nur die eine Seite sind, die Bestimmtheiten des Gefühls und Herzens aber die andere Seite. Und da müssen wir sogleich weiter sagen, daß ebensowenig die Religion die wahrhafte ist darum, weil sie im Gefühl oder im Herzen ist, als sie darum die wahrhafte ist, weil sie geglaubt, unmittelbar und gewiß gewußt wird. Alle Religionen, die falschesten, unwürdigsten, sind gleichfalls im Gefühle und Herzen, wie die wahre. Es gibt ebenso unsittliche, unrechtliche und gottlose Gefühle, als es sittliche, rechtliche und fromme gibt. Aus dem Herzen gehen hervor arge Gedanken, Mord, Ehebruch, Lästerung usf.; d. h. daß es keine argen, sondern gute Gedanken sind, hängt nicht davon ab, daß sie im Herzen sind und aus dem Herzen hervorgehen. Es kommt auf die Bestimmtheit an, welche das Gefühl hat, das im Herzen ist; dies ist eine so triviale Wahrheit, daß man Bedenken trägt, sie in den Mund zu nehmen. Aber es gehört zur Bildung, so weit in der Analyse der Vorstellungen fortgegangen zu sein, daß das Einfachste und Allgemeinste in Frage gestellt und verneint wird; dieser Verflachung oder Ausklärung, die auf ihre Kühnheit eitel ist, sieht es unbedeutend und unscheinbar aus, triviale Wahrheiten, wie z. B., an die auch hier wieder erinnert werden kann, daß der Mensch von dem Tier sich durchs Denken unterscheidet, das Gefühl aber mit demselben teilt, zurückzurufen. Ist das Gefühl religiöses Gefühl, so ist die Religion seine Bestimmtheit; ist es böses, arges Gefühl, so ist das Böse, Arge seine Bestimmtheit. Diese seine Bestimmtheit ist das, was Inhalt für das Bewußtsein ist, was im angeführten Spruche Gedanke heißt; das Gefühl ist schlecht um seines schlechten Inhalts willen, das Herz um seiner argen Gedanken willen. Das Gefühl ist die gemeinschaftliche Form für den verschiedenartigsten Inhalt. Es kann schon darum ebensowenig Rechtfertigung für irgendeine seiner Bestimmtheiten, für seinen Inhalt sein als die unmittelbare Gewißheit.
Das Gefühl gibt sich als eine subjektive Form kund, wie etwas in mir ist, wie ich das Subjekt von etwas bin; diese Form ist das Einfache, in aller Verschiedenheit des Inhalts sich Gleichbleibende, an sich daher Unbestimmte, die Abstraktion meiner Vereinzelung. Die Bestimmtheit desselben dagegen ist zunächst unterschieden überhaupt, das gegeneinander Ungleiche, Mannigfaltige. Sie muß eben darum für sich von der allgemeinen Form, deren Bestimmtheit sie ist, unterschieden und für sich betrachtet werden; sie hat die Gestalt des Inhalts, der (on his own merits) auf seinen eigenen Wert gestellt, für sich beurteilt werden muß; auf diesen Wert kommt es für den Wert des Gefühls an. Dieser Inhalt muß zum voraus, unabhängig vom Gefühl, wahrhaft sein, wie die Religion für sich wahrhaft ist; - er ist das in sich Notwendige und Allgemeine, die Sache, welche sich zu einem Reiche von Wahrheiten wie von Gesetzen, wie zu einem Reiche der Kenntnis derselben und ihres letzten Grundes, Gottes entwickelt.
Ich deute nur mit wenigem die Folgen an, wenn das unmittelbare Wissen und das Gefühl als solches zum Prinzip gemacht werden. Ihre Konzentration ist es selbst, welche für den Inhalt die Vereinfachung, die Abstraktion, die Unbestimmtheit mit sich führt. Daher reduzieren sie beide den göttlichen Inhalt, es sei der religiöse als solcher wie der rechtliche und sittliche, auf das Minimum, auf das Abstrakteste. Damit fällt das Bestimmen des Inhalts auf die Willkür, denn in jenem Minimum selbst ist nichts Bestimmtes vorhanden. Dies ist eine wichtige, ebenso theoretische als praktische Folge, - vornehmlich eine praktische, denn indem für die Rechtfertigung der Gesinnung und des Handelns doch Gründe notwendig werden, müßte das Räsonnement noch sehr ungebildet und ungeschickt sein, wenn es nicht gute Gründe der Willkür anzugeben wüßte.
Eine andere Seite in der Stellung, welche das Zurückziehen in das unmittelbare Wissen und ins Gefühl hervorbringt, betrifft das Verhältnis zu anderen Menschen, ihre geistige Gemeinschaft. Das Objektive, die Sache, ist das an und für sich Allgemeine, und so ist es auch für alle. Als das Allgemeinste ist es an sich Gedanke überhaupt, und der Gedanke ist der gemeinschaftliche Boden. Wer, wie ich sonst gesagt habe, sich auf das Gefühl, auf unmittelbares Wissen, auf seine Vorstellung oder seine Gedanken beruft, schließt sich in seine Partikularität ein, bricht die Gemeinschaftlichkeit mit anderen ab; - man muß ihn stehenlassen. Aber solches Gefühl und Herz läßt sich noch näher ins Gefühl und Herz sehen. Aus Grundsatz sich darauf beschränkend, setzt das Bewußtsein eines Inhalts ihn auf die Bestimmtheit seiner selbst herab; es hält sich wesentlich als Selbstbewußtsein fest, dem solche Bestimmtheit inhäriert. Das Selbst ist dem Bewußtsein der Gegenstand, den es vor sich hat, die Substanz, die den Inhalt nur als ein Attribut, als ein Prädikat an ihm hat, so daß nicht er das Selbständige ist, in welchem das Subjekt sich aufhebt. Dieses ist sich auf solche Weise ein fixierter Zustand, den man das Gefühlsleben genannt hat. In der sogenannten Ironie, die damit verwandt ist, ist Ich selbst abstrakter [Zustand,] nur in der Beziehung auf sich selbst; es steht im Unterschiede seiner selbst von dem Inhalt, als reines Bewußtsein seiner selbst getrennt von ihm. Im Gefühlsleben ist das Subjekt mehr in der angegebenen Identität mit dem Inhalte; es ist in ihm bestimmtes Bewußtsein und bleibt so als dieses Ich-selbst sich Gegenstand und Zweck, - als religiöses Ich-selbst ist es sich Zweck. Dieses Ich-selbst ist sich Gegenstand und Zweck überhaupt, in dem Ausdrucke überhaupt, daß Ich selig werde, und insofern diese Seligkeit durch den Glauben an die Wahrheit vermittelt ist, daß Ich von der Wahrheit erfüllt, von ihr durchdrungen sei. Erfüllt somit mit Sehnsucht ist es unbefriedigt in sich, aber diese Sehnsucht ist die Sehnsucht der Religion; es ist somit darin befriedigt, diese Sehnsucht in sich zu haben; in der Sehnsucht hat es das subjektive Bewußtsein seiner, und seiner als des religiösen Selbst. Hinausgerissen über sich nur in der Sehnsucht, behält es sich selbst eben in ihr und das Bewußtsein seiner Befriedigung und, nahe dabei, seiner Zufriedenheit mit sich. Es liegt aber in dieser Innerlichkeit auch das entgegengesetzte Verhältnis der unglücklichsten Entzweiung reiner Gemüter. Indem ich mich als dieses besondere und abstrakte Ich festhalte und vergleiche meine Besonderheiten, Regungen, Neigungen und Gedanken mit dem, womit ich erfüllt sein soll, so kann ich diesen Gegensatz als den quälenden Widerspruch meiner empfinden, der dadurch perennierend wird, daß ich [mich] als dieses subjektive Mich im Zwecke und vor Augen habe, es mir um mich als mich zu tun ist. Diese feste Reflexion selbst hindert es, daß ich von dem substantiellen Inhalte, von der Sache erfüllt werden kann; denn in der Sache vergesse ich mich; indem ich mich in sie vertiefe, verschwindet von selbst jene Reflexion auf mich; ich bin als Subjektives bestimmt nur im Gegensatze gegen die Sache, der mir durch die Reflexion auf mich verbleibt. So mich außerhalb der Sache haltend, lenkt sich, indem sie mein Zweck ist, das Interesse von der Aufmerksamkeit auf diese auf mich zurück; ich leere mich perennierend aus und enthalte mich in dieser Leerheit. Diese Hohlheit bei dem höchsten Zwecke des Individuums, dem frommen Bestrebt- und Bekümmertsein um das Wohl seiner Seele, hat zu den grausamsten Erscheinungen einer kraftlosen Wirklichkeit, von dem stillen Kummer eines liebenden Gemüts an bis zu den Seelenleiden der Verzweiflung und der Verrücktheit geführt, - doch mehr in früheren Zeiten als in späteren, wo mehr die Befriedigung in der Sehnsucht über deren Entzweiung die Oberhand gewinnt und jene Zufriedenheit und selbst die Ironie in ihr hervorbringt. Solche Unwirklichkeit des Herzens ist nicht nur eine Leerheit desselben, auch ebensosehr Engherzigkeit: das, womit es erfüllt ist, ist sein eigenes formelles Subjekt; es behält dieses Ich zu seinem Gegenstand und Zweck. Nur das an und für sich seiende Allgemeine ist weit, und das Herz erweitert sich in sich nur, indem es darein eingeht und in diesem Gehalte sich ausbreitet, welcher ebenso der religiöse als der sittliche und rechtliche Gehalt ist. Die Liebe überhaupt ist das Ablassen von der Beschränkung des Herzens auf seinen besonderen Punkt, und die Aufnahme der Liebe Gottes in dasselbe ist die Aufnahme der Entfaltung seines Geistes, die allen wahrhaften Inhalt in sich begreift und in dieser Objektivität die Eigenheit des Herzens aufzehrt. In diesem Gehalte aufgegeben ist die Subjektivität die für das Herz selbst einseitige Form, welches damit der Trieb ist, sie abzustreifen, - und dieser ist der Trieb, zu handeln überhaupt, was näher heißt, an dem Handeln des an und für sich seienden göttlichen und darum absolute Macht und Gewalt habenden Inhalts teilzunehmen. Dies ist dann die Wirklichkeit des Herzens, und sie ist ungetrennt jene innerliche und die äußerliche Wirklichkeit.
Wenn wir so zwischen dem, weil es in die Sache vertieft und versenkt ist, unbefangenen Herzen und dem in der Reflexion auf sich selbst befangenen unterschieden haben, so macht der Unterschied das Verhältnis zum Gehalte aus. In sich und damit außer diesem Gehalte sich haltend, ist dieses Herz von sich in einem äußerlichen und zufälligen Verhältnisse zu demselben; dieser Zusammenhang, der darauf führt, aus seinem Gefühl Recht zu sprechen und das Gesetz zu geben, ist früher schon erwähnt worden. Die Subjektivität setzt der Objektivität des Handelns, d. i. dem Handeln aus dem wahrhaften Gehalt, das Gefühl und diesem Gehalt und dem denkenden Erkennen desselben das unmittelbare Wissen entgegen. Wir setzen aber hier die Betrachtung des Handelns auf die Seite und bemerken darüber nur dies, daß eben dieser Gehalt, die Gesetze des Rechts und der Sittlichkeit, die Gebote Gottes, ihrer Natur nach das in sich Allgemeine sind und darum in der Region des Denkens ihre Wurzel und Stand haben. Wenn zuweilen die Gesetze des Rechts und der Sittlichkeit nur als Gebote der Willkür Gottes - dies wäre in der Tat der Unvernunft Gottes - angesehen werden, so hätte es zu weit hin, um von da aus anfangen zu wollen; aber das Feststellen, die Untersuchung, wie die Überzeugung des Subjekts von der Wahrheit der Bestimmungen, die ihm als die Grundlagen seines Handelns gelten sollen, ist denkendes Erkennen. Indem das unbefangene Herz ihnen zu eigen ist, seine Einsicht sei noch so unentwickelt und die Prätention derselben auf Selbständigkeit ihm noch fremd, die Autorität vielmehr noch der Weg, auf dem es zu denselben gekommen ist, so ist dieser Teil des Herzens, in welchem sie eingepflanzt sind, nur die Stätte des denkenden Bewußtseins, denn sie selbst sind die Gedanken des Handelns, die in sich allgemeinen Grundsätze. Dieses Herz kann darum auch nichts gegen die Entwicklung dieses seines objektiven Bodens haben, ebensowenig als gegen die seiner Wahrheiten, welche für sich zunächst mehr als theoretische Wahrheiten seines religiösen Glaubens erscheinen. Wie aber schon dieser Besitz und die intensive Innigkeit desselben nur durch die Vermittlung der Erziehung, welche sein Denken und Erkenntnis ebenso als sein Wollen in Anspruch genommen hat, in ihm ist, so ist noch mehr der weiter entwickelte Inhalt und die Umwandlung des Kreises seiner Vorstellungen, die an sich in der Stätte einheimisch sind, auch in das Bewußtsein der Form des Gedankens vermittelndes und vermitteltes Erkennen.
Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes Übersicht >>>
|
|
|