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G.W.F. Hegel

Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes

Erste Vorlesung

Diese Vorlesungen sind der Betrachtung der Beweise vom Dasein Gottes bestimmt; die äußere Veranlassung liegt darin, daß ich in diesem Sommersemester nur eine Vorlesung über ein Ganzes von Wissenschaft zu halten mich entschließen mußte und denn doch eine zweite, wenigstens über einen einzelnen wissenschaftlichen Gegenstand hinzufügen wollte. Ich habe dabei dann einen solchen gewählt, welcher mit der anderen Vorlesung, die ich halte, über die Logik, in Verbindung stehe und eine Art von Ergänzung zu dieser, nicht dem Inhalte, sondern der Form nach, ausmache, indem derselbe nur eine eigentümliche Gestalt von den Grundbestimmungen der Logik ist; sie sind daher vornehmlich meinen Herren Zuhörern, die an jener anderen teilnehmen, bestimmt, so wie sie denselben auch am verständlichsten sein werden.

Indem aber unsere Aufgabe ist, die Beweise vom Dasein Gottes zu betrachten, so scheint von derselben nur eine Seite in die Logik zu fallen, nämlich die Natur des Beweisens; die andere aber, der Inhalt, welcher Gott ist, gehörte einer anderen Sphäre, der Religion und der denkenden Betrachtung derselben, der Religionsphilosophie an. In der Tat ist es ein Teil dieser Wissenschaft, der in diesen Vorlesungen für sich herausgehoben und abgehandelt werden soll; im Verfolg wird es sich näher hervorheben, welches Verhältnis derselbe zum Ganzen der Religionslehre hat, sowie dann auch, daß diese Lehre, insofern sie eine wissenschaftliche ist, und das Logische nicht so auseinanderfallen, wie es nach dem ersten Scheine unseres Zweckes das Aussehen hat, daß das Logische nicht bloß die formelle Seite ausmacht, sondern in der Tat damit zugleich im Mittelpunkte des Inhalts steht.

Das erste aber, was uns begegnet, indem wir auf unser Vorhaben überhaupt uns einzulassen anfangen wollten, ist die allgemeine, demselben abgeneigte Ansicht der Bildungsvorurteile der Zeit. Wenn der Gegenstand, Gott, für sich fähig ist, sogleich durch seinen Namen unseren Geist zu erheben, unser Gemüt aufs innigste zu interessieren, so mag diese Spannung ebenso schnell wieder nachlassen, wenn wir bedenken, daß es die Beweise vom Dasein Gottes sind, die wir abzuhandeln gehen; die Beweise des Daseins Gottes sind so sehr in Verruf gekommen, daß sie für etwas Antiquiertes, der vormaligen Metaphysik Angehöriges gelten, aus deren dürren Öden wir uns zum lebendigen Glauben zurückgerettet, aus deren trockenem Verstande wir zum warmen Gefühle der Religion uns wieder erhoben haben. Ein Unternehmen, jene morschen Stützen unserer Überzeugung davon, daß ein Gott ist, welche für Beweise galten, durch neue Wendungen und Kunststücke eines scharfsinnigen Verstandes aufzufrischen, die durch Einwürfe und Gegenbeweise schwach gewordenen Stellen auszubessern, würde sich selbst durch seine gute Absicht keine Gunst erwerben können; denn nicht dieser oder jener Beweis, diese oder jene Form und Stelle desselben hat ihr Gewicht verloren, sondern das Beweisen religiöser Wahrheit als solches ist in der Denkweise der Zeit so sehr um allen Kredit gekommen, daß die Unmöglichkeit solchen Beweisens bereits ein allgemeines Vorurteil ist, und noch mehr, daß es selbst für irreligiös gilt, solcher Erkenntnis Zutrauen zu schenken und auf ihrem Wege Überzeugung von Gott und seiner Natur oder auch nur von seinem Sein zu suchen. Dieses Beweisen ist daher auch so sehr außer Kurs gesetzt, daß die Beweise kaum hier und da nur historisch bekannt, ja selbst Theologen, d. i. solchen, welche von den religiösen Wahrheiten eine wissenschaftliche Bekanntschaft haben wollen, unbekannt sein können.

Die Beweise vom Dasein Gottes sind aus dem Bedürfnisse, das Denken, die Vernunft zu befriedigen, hervorgegangen; aber dieses Bedürfnis hat in der neueren Bildung eine ganz andere Stellung erhalten, als es vormals hatte, und die Standpunkte sind zunächst zu erwähnen, die sich in dieser Rücksicht ergeben haben. Doch da sie im allgemeinen bekannt sind und sie in ihre Grundlagen zu verfolgen hier nicht der Ort ist, so ist nur an sie zu erinnern, und zwar indem wir uns auf ihre Gestalt, wie sie innerhalb des Bodens des Christentums sich macht, beschränken. Auf diesem nämlich kommt erst der Gegensatz zwischen Glauben und Vernunft innerhalb des Menschen selbst zu stehen, tritt der Zweifel in seinen Geist und kann zu der furchtbaren Höhe gelangen, um ihm alle Ruhe zu rauben. An die früheren Phantasie-Religionen, wie wir sie kurz bezeichnen können, mußte freilich auch das Denken kommen, es mußte unmittelbar sich gegen deren sinnliche Bildungen und weiteren Gehalt mit seinem Gegensatze kehren; die Widersprüche, Feindschaften und Feindseligkeiten, die daraus entsprangen, gibt die äußerliche Geschichte der Philosophie an. Aber die Kollisionen gediehen in jenem Kreise nur zur Feindschaft, nicht zum inneren Zweispalt des Geistes und Gemüts in sich selbst wie innerhalb des Christentums, wo die beiden Seiten, die in Widerspruch kommen, die Tiefe des Geistes als ihre eine und damit gemeinschaftliche Wurzel gewinnen und in dieser Stelle, in ihrem Widerspruche zusammengebunden, diese Stelle selbst, den Geist, in seinem Innersten zu zerrütten vermögen. Schon der Ausdruck Glaube ist dem christlichen vorbehalten; man spricht nicht von griechischem, ägyptischem usw. Glauben oder vom Glauben an den Zeus, an den Apis usf. Der Glaube drückt die Innerlichkeit der Gewißheit aus, und zwar die tiefste, konzentrierteste, als im Gegensatze gegen alles andere Meinen, Vorstellen, Überzeugung oder Wollen; jene Innerlichkeit aber enthält als die tiefste zugleich unmittelbar die abstrakteste, das Denken selbst; ein Widerspruch des Denkens gegen diesen Glauben ist daher die qualvollste Entzweiung in den Tiefen des Geistes.

Solches Unglück ist jedoch glücklicherweise, wenn wir so sagen könnten, nicht die einzige Gestalt, in welcher das Verhältnis des Glaubens und Denkens sich befinden müßte. Im Gegenteil stellt sich das Verhältnis friedlich in der Überzeugung vor, daß Offenbarung, Glaube, positive Religion und auf der andern Seite Vernunft, Denken überhaupt, nicht im Widerspruch sein müssen, vielmehr nicht nur in Übereinstimmung sein können, sondern auch, daß Gott sich in seinen Werken nicht so widerspreche, sich nicht so widersprechen könne, daß der menschliche Geist in seiner Wesenheit, der denkenden Vernunft, in dem, was er ursprünglich an ihm selbst Göttliches zu haben erachtet werden muß, demjenigen, was an ihn durch höhere Erleuchtung über die Natur Gottes und das Verhältnis des Menschen zu derselben gekommen sei, entgegengesetzt sein müsse. So hat das ganze Mittelalter unter Theologie nichts anderes verstanden als eine wissenschaftliche Erkenntnis der christlichen Wahrheiten, d. i. eine Erkenntnis wesentlich verbunden mit Philosophie. Das Mittelalter ist weit entfernt davon gewesen, das historische Wissen vom Glauben für Wissenschaft zu halten; es hat in den Kirchenvätern und in dem, was zum geschichtlichen Material überhaupt gemacht werden kann, nur Autoritäten, Erbauung und Belehrung über die kirchlichen Lehren gesucht. Die Richtung auf das Gegenteil, durch die geschichtliche Behandlung der älteren Zeugnisse und Arbeiten aller Art für die Glaubenslehren vielmehr die menschliche Entstehung derselben nur auszuforschen und sie auf diesem Wege auf das Minimum ihrer allerersten Gestalt zu reduzieren, die im Widerspruch mit dem Geiste, der nach dem Entrücken ihrer unmittelbaren Gegenwart auf deren Bekenner, um sie jetzt erst in alle Wahrheit zu leiten, ausgegossen worden, für unfruchtbar auf immer an tieferer Erkenntnis und Entwicklung gehalten werden soll, - solche Richtung ist jener Zeit vielmehr unbekannt gewesen. Im Glauben an die Einigkeit dieses Geistes mit sich selbst sind alle, auch die für die Vernunft abstrusesten Lehren denkend betrachtet und der Versuch auf alle angewendet worden, sie, die für sich Inhalt des Glaubens sind, auch durch vernünftige Gründe zu beweisen. Der große Theologe Anselm von Canterbury, dessen wir auch sonst noch zu gedenken haben werden, sagt in diesem Sinne, wenn wir im Glauben befestigt sind, so ist es Saumseligkeit, negligentiae mihi esse videtur, das nicht auch zu erkennen, was wir glauben. In der protestantischen Kirche hat es sich ebenso eingefunden, daß, verbunden mit der Theologie oder auch neben ihr, die vernünftige Erkenntnis der religiösen Wahrheiten gepflegt und in Ehren gehalten worden ist; das Interesse sprach sich dahin aus, zuzusehen, wie weit es das natürliche Licht der Vernunft, die menschliche Vernunft für sich, in der Erkenntnis der Wahrheit bringen könne, mit dem wesentlichen Vorbehalt dabei, daß zugleich durch die Religion dem Menschen höhere Wahrheiten gelehrt worden sind, als die Vernunft aus sich zu entdecken imstande sei.

Hiermit zeigen sich zwei unterschiedene Sphären herausgebildet, und zunächst ist ein friedliches Verhalten zwischen ihnen durch die Unterscheidung gerechtfertigt worden, daß die Lehren der positiven Religion zwar über, aber nicht wider die Vernunft seien. - Diese Tätigkeit der denkenden Wissenschaft fand sich äußerlich durch das Beispiel aufgeregt und unterstützt, welches in vorchristlichen oder überhaupt außerchristlichen Religionen vor Augen lag, daß der menschliche Geist, sich selbst überlassen, tiefe Blicke in die Natur Gottes getan hat und neben seinen Irrtümern auch zu großen Wahrheiten, selbst auf Grundwahrheiten wie das Dasein Gottes überhaupt und auf die reinere, nicht mit sinnlichen Ingredienzien vermischte Idee desselben, auf die Unsterblichkeit der Seele, die Vorsehung usf. gekommen ist. So wurde die positive Lehre und die Vernunfterkenntnis der religiösen Wahrheiten friedlich nebeneinander betrieben. Diese Stellung der Vernunft zur Glaubenslehre war jedoch hiermit von dem ersterwähnten Zutrauen der Vernunft verschieden, als welches den höchsten Mysterien der Lehre, der Dreieinigkeit, der Menschwerdung Christi usf. sich nahen durfte, wogegen der nachher erwähnte Standpunkt sich schüchtern auf die Wendung beschränkte, sich nur an dasjenige mit dem Denken zu wagen, was der christlichen Religion mit heidnischen und nichtchristlichen überhaupt gemeinschaftlich sei, was also auch nur bei dem Abstrakten der Religion stehenbleiben mußte.

Indem aber einmal die Verschiedenheit zweier solcher Sphären zum Bewußtsein gekommen, so müssen wir solches Verhältnis der Gleichgültigkeit, in welcher Glaube und Vernunft als nebeneinander bestehend betrachtet werden sollen, als gedankenlos oder als ein betrügerisches Vorgeben beurteilen: der Trieb des Denkens zur Einheit führt notwendig zunächst zur Vergleichung beider Sphären und dann, indem sie einmal für verschieden gelten, zur Übereinstimmung des Glaubens nur mit sich selbst und des Denkens nur mit sich selbst, so daß jede Sphäre die andere nicht anerkennt und sie verwirft. Es ist eine der geläufigsten Täuschungen des Verstandes, das Verschiedene, das in dem einen Mittelpunkte des Geistes ist, dafür anzusehen, daß es nicht notwendig zur Entgegensetzung und damit zum Widerspruche fortgehen müsse. Der Grund zu dem beginnenden Kampfe des Geistes ist gemacht, wenn einmal das Konkrete desselben zum Bewußtsein des Unterschiedes überhaupt sich analysiert hat. Alles Geistige ist konkret; hier haben wir dasselbe in seiner tiefsten Bestimmung vor uns, den Geist nämlich als das Konkrete des Glaubens und Denkens; beide sind nicht nur auf die mannigfaltigste Weise, in unmittelbarem Herüber- und Hinübergehen, vermischt, sondern so innig verbunden miteinander, daß es kein Glauben gibt, welches nicht Reflektieren, Räsonieren oder Denken überhaupt, sowie kein Denken, welches nicht Glauben, wenn auch nur momentanen, in sich enthalte, Glauben, denn Glauben überhaupt ist die Form irgendeiner Voraussetzung, einer, woher sie auch komme, festen zugrunde liegenden Annahme, - momentanes Glauben, so nämlich, daß selbst im freien Denken zwar das, was jetzt als Voraussetzung ist, nachher oder vorher gedachtes, begriffenes Resultat ist, aber in dieser Verwandlung der Voraussetzung in Resultat wieder eine Seite hat, welche Voraussetzung, Annahme oder bewußtlose Unmittelbarkeit der Tätigkeit des Geistes ist. Doch die Natur des frei fürsichseienden Denkens zu exponieren, haben wir hier noch beiseite zu lassen und vielmehr zu bemerken, daß um der angegebenen, an und für sich seienden Verbindung des Glaubens und Denkens willen es die lange Zeit - wohl mehr als anderthalb tausend Jahre - und die schwerste Arbeit gekostet hat, bis das Denken aus seiner Versenkung in den Glauben das abstrakte Bewußtsein seiner Freiheit gewonnen hat und damit seiner Selbständigkeit und seiner vollkommenen Unabhängigkeit, in deren Sinne nichts mehr für dasselbe gelten sollte, was sich nicht vor seinem Richterstuhl ausgewiesen und als annehmbar vor ihm sich gerechtfertigt hätte. Das Denken so auf das Extrem seiner Freiheit - und es ist nur völlig frei im Extreme - sich setzend und damit die Autorität und das Glauben überhaupt verwerfend, hat den Glauben selbst dahin getrieben, ebenso sich abstrakt auf sich zu setzen und zu versuchen, sich des Denkens ganz zu entledigen. Wenigstens kommt er dazu, sich als desselben entledigt und unbedürftig zu erklären; in die Bewußtlosigkeit des allerdings geringen Denkens, das ihm hat übrigbleiben müssen, gehüllt, behauptet er weiter das Denken als der Wahrheit unfähig und ihr verderblich, so daß das Denken dies allein vermöge, sein Unvermögen, die Wahrheit zu fassen, einzusehen und seine Nichtigkeit sich zu beweisen, daß somit der Selbstmord seine höchste Bestimmung sei. So sehr hat sich das Verhältnis in der Ansicht der Zeit umgekehrt, daß nun das Glauben überhaupt als unmittelbares Wissen gegen das Denken zur einzigen Weise, die Wahrheit zu fassen, erhoben worden ist, wie im Gegenteil früher dem Menschen nur das Beruhigung sollte geben können, wessen er als Wahrheit durch den beweisenden Gedanken sich hatte bewußt werden können.

Dieser Standpunkt der Entgegensetzung muß für keinen Gegenstand sich durchdringender und gewichtiger zeigen als für den, den wir uns zu betrachten vorgenommen, die Erkenntnis Gottes. Die Herausarbeitung des Unterschiedes von Glauben und Denken zur Entgegensetzung enthält es unmittelbar, daß sie zu formellen Extremen geworden, in denen vom Inhalt abstrahiert worden, so daß sie zunächst nicht mehr mit der konkreten Bestimmung von religiösem Glauben und Denken der religiösen Gegenstände sich gegenüberstehen, sondern abstrakt als Glauben überhaupt und als Denken überhaupt oder Erkennen, insofern letzteres nicht bloß Gedankenformen, sondern Inhalt in und mit seiner Wahrheit geben soll. Nach dieser Bestimmung wird die Erkenntnis Gottes von der Frage über die Natur der Erkenntnis im allgemeinen abhängig gemacht, und ehe wir an die Untersuchung des Konkreten gehen können, scheint ausgemacht werden zu müssen, ob überhaupt das Bewußtsein des Wahren denkende Erkenntnis oder Glaube sein könne und müsse. Unsere Absicht, die Erkenntnis vom Sein Gottes zu betrachten, verwandelte sich in jene allgemeine Betrachtung der Erkenntnis; wie denn die neue philosophische Epoche es zum Anfange und zur Grundlage alles Philosophierens gemacht hat, daß vor dem wirklichen Erkennen, d. i. dem konkreten Erkennen eines Gegenstandes, die Natur des Erkennens selbst untersucht werde. Wir liefen hiermit die, aber für die Gründlichkeit notwendige, Gefahr, weiter ausholen zu müssen, als die Zeit für den Zweck dieser Vorlesungen gestatten würde. Betrachten wir aber die Forderung näher, in welche wir geraten zu sein scheinen, so zeigt sich ganz einfach, daß sich mit derselben nur der Gegenstand, nicht die Sache verändert hätte; wir hätten in beiden Fällen, wenn wir uns mit der Forderung jener Untersuchung einlassen oder wenn wir direkt bei unserem Thema bleiben, zu erkennen; in jenem Fall hätten wir auch einen Gegenstand dafür, nämlich das Erkennen selbst. Indem wir hiermit auch so nicht aus der Tätigkeit des Erkennens, aus dem wirklichen Erkennen herauskämen, so hindert ja nichts, daß wir nicht den anderen Gegenstand, dessen Betrachtung wir nicht beabsichtigen, aus dem Spiele ließen und bei dem unsrigen blieben. Es wird sich aber ferner, indem wir unseren Zweck verfolgen, zeigen, daß das Erkennen unseres Gegenstandes an ihm selbst auch als Erkennen sich rechtfertigen wird. Daß im wahrhaften und wirklichen Erkennen auch die Rechtfertigung des Erkennens liegen wird und muß, weiß man, könnte man sagen, schon zum voraus, denn dieser Satz ist nichts anderes als eine Tautologie; ebenso als man im voraus wissen kann, daß der verlangte Umweg, das Erkennen vor dem wirklichen Erkennen erkennen zu wollen, überflüssig ist, darum, weil dies in sich selbst widersinnig ist. Wenn man sich aber unter dem Erkennen eine äußerliche Verrichtung vorstellt, durch welche es mit einem Gegenstand nur in mechanisches Verhältnis gebracht, d. i. ihm fremd bleibend, äußerlich auf ihn nur angewendet würde, so ist in solchem Verhältnis freilich das Erkennen als eine besondere Sache für sich gestellt, so daß es wohl sein könnte, daß dessen Formen nichts mit den Bestimmungen des Gegenstandes Gemeinschaftliches hätten, also, wenn es sich mit einem solchen zu tun machte, nur in seinen eigenen Formen bliebe, die Bestimmungen des Gegenstandes hiermit nicht erreichte, d. i. nicht ein wirkliches Erkennen desselben würde. Durch solches Verhältnis wird das Erkennen als endliches und von Endlichem bestimmt; in seinem Gegenstande bleibt etwas, und zwar das eigentliche Innere, dessen Begriff, ein ihm Unzugängliches, Fremdes; es hat daran seine Schranke und sein Ende und ist deswegen beschränkt und endlich. Aber solches Verhältnis als das einzige, letzte absolute anzunehmen, ist eine geradezu gemachte, ungerechtfertigte Voraussetzung des Verstandes. Die wirkliche Erkenntnis muß, insofern sie nicht außer dem Gegenstande bleibt, sondern sich in der Tat mit ihm zu tun macht, die dem Gegenstand immanente, die eigene Bewegung der Natur desselben, nur in Form des Gedankens ausgedrückt und in das Bewußtsein aufgenommen, sein.

Hiermit sind vorläufig die Standpunkte der Bildung angegeben worden, welche heutigentags bei einer solchen Materie, als wir vor uns haben, in Betracht genommen zu werden pflegen. Sie ist es vorzüglich oder eigentlich allein, bei der von sich selbst erhellt, daß das, was vorhin gesagt worden ist, daß die Betrachtung des Erkennens von der Betrachtung der Natur seines Gegenstandes nicht verschieden sei, ganz unbeschränkt gelten muß. Ich gebe darum sogleich den allgemeinen Sinn an, in welchem das vorgesetzte Thema, die Beweise vom Dasein Gottes, genommen und der als der wahrhafte aufgezeigt werden wird. Dieser Sinn ist nämlich, daß sie die Erhebung des Menschengeistes zu Gott enthalten und dieselbe für den Gedanken ausdrücken sollen, wie die Erhebung selbst eine Erhebung des Gedankens und in das Reich des Gedankens ist.

Was zunächst überhaupt das Wissen betrifft, so ist der Mensch wesentlich Bewußtsein; somit ist das Empfundene, der Inhalt, die Bestimmtheit, welche eine Empfindung hat, auch im Bewußtsein, als ein Vorgestelltes. Das, wodurch die Empfindung religiöse Empfindung ist, ist der göttliche Inhalt; er ist darum wesentlich ein solches, von dem man überhaupt weiß. Aber dieser Inhalt ist in seinem Wesen keine sinnliche Anschauung oder sinnliche Vorstellung, nicht für die Einbildungskraft, sondern allein für den Gedanken. Gott ist Geist, nur für den Geist, und nur für den reinen Geist, d. i. für den Gedanken; dieser ist die Wurzel solchen Inhalts, wenn auch weiterhin sich Einbildungskraft und selbst Anschauung dazu gesellt und dieser Inhalt in die Empfindung eintritt. Diese Erhebung des denkenden Geistes zu dem, der selbst der höchste Gedanke ist, zu Gott, ist es also, was wir betrachten wollen.

Dieselbe ist ferner wesentlich in der Natur unseres Geistes begründet, sie ist ihm notwendig; diese Notwendigkeit ist es, die wir in dieser Erhebung vor uns haben, und die Darstellung dieser Notwendigkeit selbst ist nichts anderes als das, was wir sonst Beweisen nennen. Daher haben wir nicht diese Erhebung auswärts zu beweisen: sie beweist sich an ihr selbst; dies heißt nichts anderes, als sie ist für sich notwendig; wir haben nur ihrem eigenen Prozesse zuzusehen, so haben wir daran selbst, da sie in sich notwendig ist, die Notwendigkeit, deren Einsicht eben von dem Beweise gewährt werden soll.

 

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