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HEGEL - Religion
G.W.F. Hegel
Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes
Achte Vorlesung
In der vorigen Vorlesung sind die spekulativen Grundbestimmungen, die Natur des Begriffs, dessen Entwicklung zu der Vielheit von Bestimmungen und Gestaltungen betreffend, angegeben worden. Wenn wir nach unserer Aufgabe zurücksehen, so begegnet uns sogleich auch eine Mehrheit; es findet sich, daß es mehrere Beweise vom Dasein Gottes gibt, - eine äußerliche empirische Mehrheit, Verschiedenheit, wie sie sich zunächst auch nach dem geschichtlichen Entstehen darbietet, die nichts mit den Unterscheidungen, welche sich aus der Entwicklung des Begriffs ergeben, zu tun hat und die wir sonach, wie wir sie unmittelbar vorfinden, aufnehmen. Allein ein Mißtrauen gegen jene Mehrheit können wir sogleich fassen, wenn wir überlegen, daß wir es hier nicht mit einem endlichen Gegenstande zu tun haben, und uns erinnern, daß unsere Betrachtung eines unendlichen Gegenstandes eine philosophische, nicht ein zufälliges, äußerliches Tun und Bemühen sein soll. Ein geschichtliches Faktum, auch eine mathematische Figur enthält eine Menge von Beziehungen in ihr und Verhältnisse nach außen, nach denen sie angefaßt und von denen aus auf das Hauptverhältnis, von dem sie selbst abhängen, oder auf eine andere Bestimmung, um die es zu tun ist und die hiermit gleichfalls zusammenhängt, geschlossen werden kann. Von dem pythagoreischen Lehrsatze sollen etliche und zwanzig Beweise erfunden worden sein. Ein geschichtliches Faktum, je bedeutender es ist, steht mit so vielen Seiten eines Zustands und anderen geschichtlichen Verlaufs im Zusammenhang, daß von jeder derselben aus für die Notwendigkeit der Annahme jenes Faktums ausgegangen werden kann; der direkten Zeugnisse können ebenso sehr viele sein, und jedes Zeugnis gilt, insofern es sich nicht sonst widersprechend zeigt, in diesem Felde für einen Beweis. Wenn bei einem mathematischen Satze auch ein einziger für genügend gilt, so ist es vornehmlich bei geschichtlichen Gegenständen, juridischen Fällen, daß eine Mehrheit von Beweisen dafür gelten muß, die Beweiskraft selbst zu verstärken. Auf dem Gebiete der Erfahrung, der Erscheinungen hat der Gegenstand als ein empirisch Einzelnes die Bestimmung der Zufälligkeit, und ebenso gibt die Einzelheit der Kenntnis ihr eben denselben Schein. Seine Notwendigkeit hat der Gegenstand in dem Zusammenhange mit anderen Umständen, von denen jeder wieder für sich unter solche Zufälligkeit fällt; hier ist es die Erweiterung und Wiederholung solchen Zusammenhangs, wodurch die Objektivität, die Art von Allgemeinheit, die in diesem Felde möglich ist, sich ergibt. Die Bestätigung eines Faktums, einer Wahrnehmung durch die bloße Mehrheit von Beobachtungen benimmt der Subjektivität des Wahrnehmens den Verdacht des Scheins, der Täuschung, aller der Arten von Irrtum, denen es ausgesetzt sein kann.
Bei Gott, indem wir die ganz allgemeine Vorstellung von demselben voraussetzen, findet es einerseits statt, daß er den Bereich von Zusammenhängen, in dem sonst irgendein Gegenstand mit anderen steht, unendlich übertrifft; andererseits, da Gott nur für das Innere des Menschen überhaupt ist, ist auf diesem Boden gleichfalls auf die mannigfaltigste Weise die Zufälligkeit des Denkens, Vorstellens, der Phantasie, der ausdrücklich Zufälligkeit zugestanden wird, der Empfindungen, Regungen usf. vorhanden. Es ergibt sich damit eine unendliche Menge der Ausgangspunkte, von denen zu Gott übergegangen werden kann und notwendig übergegangen werden muß, so die unendliche Menge von solchen wesentlichen Übergängen, welche die Kraft von Beweisen haben müssen. Ebenso muß gegen die andere unendliche Möglichkeit der Täuschung und des Irrtums auf den Wegen zur Wahrheit die Bestätigung und Befestigung der Überzeugung durch die Wiederholung der Erfahrungen von den Wegen zur Wahrheit als erforderlich erscheinen. In dem Subjekte stärkt sich die Zuversicht und Innigkeit des Glaubens an Gott durch die Wiederholung des wesentlichen Erhebens des Geistes zu demselben und die Erfahrung und das Erkennen desselben als Weisheit, Vorsehung in unzähligen Gegenständen, Ereignissen und Begebnissen. So unerschöpflich die Menge der Beziehungen auf den einen Gegenstand ist, so unerschöpflich zeigt sich das Bedürfnis, in dem fortwährenden Versenktsein des Menschen in die unendlich mannigfaltige Endlichkeit seiner äußeren Umgebung und seiner inneren Zustände sich fortwährend die Erfahrung von Gott zu wiederholen, d. h. in neuen Beweisen des Waltens Gottes sich dasselbe vor Augen zu bringen.
Wenn man diese Art des Beweisens vor sich hat, wird man sogleich inne, daß es in einer verschiedenen Sphäre stattfindet als das wissenschaftliche Beweisen. Das empirische Leben des Einzelnen, aus den vielfachsten Abwechslungen der Stimmung, der Zustände des Gemüts in den verschiedenen äußeren Lagen zusammengesetzt, führt es herbei, aus und in denselben sich das Resultat, daß ein Gott ist, zu vervielfältigen und diesen Glauben sich, als dem veränderlichen Individuum, immer mehr und von neuem zu eigen und lebendig zu machen. Aber das wissenschaftliche Feld ist der Boden des Gedankens; auf diesem zieht sich das Vielmal der Wiederholung und das Allemal, das eigentlich das Resultat sein soll, in Einmal zusammen: es kommt nur die eine Gedankenbestimmung in Betracht, welche als dieselbe einfach alle jene Besonderheiten des empirischen, in die unendlichen Einzelheiten der Existenz zersplitterten Lebens in sich faßt.
Aber es sind dies unterschiedene Sphären nur der Form nach, der Gehalt ist derselbe. Der Gedanke bringt den mannigfaltigen Inhalt nur in einfache Gestalt; er epitomiert denselben, ohne ihm von seinem Werte und dem Wesentlichen etwas zu benehmen; dieses vielmehr nur herauszuheben, ist seine Eigentümlichkeit. Aber es ergeben sich hierbei auch unterschiedene, mehrere Bestimmungen. Zunächst bezieht sich die Gedankenbestimmung auf die Ausgangspunkte der Erhebung des Geistes aus dem Endlichen zu Gott; wenn sie deren Unzählbarkeit auf wenige Kategorien reduziert, so sind diese Kategorien selbst doch noch mehrere. Das Endliche, was überhaupt als Ausgangspunkt genannt wurde, hat unterschiedene Bestimmungen, und diese sind demnächst die Quelle der unterschiedenen metaphysischen, d. h. nur im Gedanken sich bewegenden Beweise vom Dasein Gottes. Nach der geschichtlichen Gestalt der Beweise, wie wir sie aufzunehmen haben, sind die Kategorien des Endlichen, in welchem die Ausgangspunkte bestimmt werden, die Zufälligkeit der weltlichen Dinge und dann die zweckmäßige Beziehung derselben in ihnen selbst und aufeinander. Aber außer diesen dem Inhalte nach endlichen Anfängen gibt es noch einen anderen Ausgangspunkt, nämlich der seinem Inhalte nach unendlich sein sollende Begriff Gottes, der nur diese Endlichkeit hat, ein Subjektives zu sein, welche ihm abzustreifen ist. Eine Mehrheit von Ausgangspunkten können wir uns unbefangen gefallen lassen; sie tut der Forderung, zu der wir uns berechtigt glaubten, daß der wahrhafte Beweis nur einer sei, für sich keinen Eintrag, insofern derselbe als das Innere des Gedankens von dem Gedanken gewußt, auch von diesem als der eine und derselbe, obgleich von verschiedenen Anfängen aus genommene Weg aufgezeigt werden kann. Gleichfalls ist ferner das Resultat eines und dasselbe, nämlich das Sein Gottes. Aber dies ist so etwas unbestimmt Allgemeines. Es tut sich jedoch hierbei eine Verschiedenheit auf, auf welche eine nähere Aufmerksamkeit zu wenden ist. Sie hängt mit dem zusammen, was die Anfänge oder Übergänge genannt worden ist. Diese sind durch Ausgangspunkte, jeder eines bestimmten Inhalts, verschieden. Es sind bestimmte Kategorien; die Erhebung des Geistes zu Gott von ihnen aus ist der in sich notwendige Gang des Denkens, der nach dem gewöhnlichen Ausdruck ein Schließen genannt wird. Derselbe hat als notwendig ein Resultat, und dies Resultat ist bestimmt nach der Bestimmtheit des Ausgangspunktes; denn es folgt nur aus diesem. Somit ergibt sich, daß in den unterschiedenen Beweisen vom Dasein Gottes auch unterschiedene Bestimmungen von Gott resultieren. Dies geht nun gegen den nächsten Anschein und den Ausdruck, nach welchem in den Beweisen vom Dasein Gottes das Interesse nur auf das Dasein [gehen] und diese eine abstrakte Bestimmung das gemeinschaftliche Resultat aller der verschiedenen Beweise sein soll. Inhaltsbestimmungen daraus gewinnen zu wollen, ist schon damit beseitigt, daß in der Vorstellung Gottes bereits der ganze Inhalt sich findet und diese Vorstellung bestimmter oder dunkler vorausgesetzt oder, nach dem angegebenen gewöhnlichen Gange der Metaphysik, dieselbe als sogenannter Begriff zum voraus festgesetzt wird. Es ist daher diese Reflexion nicht ausdrücklich vorhanden, daß durch jene Übergänge des Schließens sich die Inhaltsbestimmungen ergeben; am wenigsten in dem Beweise, der insbesondere von dem vorher ausgemachten Begriffe Gottes ausgeht und ausdrücklich nur das Bedürfnis befriedigen soll, jenem Begriff die abstrakte Bestimmung des Seins hinzuzufügen.
Aber es erhellt von selbst, daß aus verschiedenen Prämissen und der Mehrheit von Schlüssen, die durch dieselben konstruiert werden, auch mehrere Resultate von unterschiedenem Inhalte sich ergeben. Wenn nun die Anfangspunkte es zu gestatten scheinen, ihr Außereinanderfallen gleichgültiger zu nehmen, so beschränkt sich diese Gleichgültigkeit in Ansehung der Resultate, welche eine Mehrheit von Bestimmungen des Begriffes Gottes geben; vielmehr führt sich die Frage zunächst über das Verhältnis derselben zueinander von selbst herbei, da Gott Einer ist. Das geläufigste Verhältnis hierbei ist, daß Gott in mehreren Bestimmungen als ein Subjekt von mehreren Prädikaten bestimmt wird, wie wir es nicht nur von den endlichen Gegenständen gewohnt sind, daß von ihnen mehrere Prädikate in ihrer Beschreibung aufgeführt werden, sondern daß auch von Gott mehrere Eigenschaften aufgezeigt werden, Allmacht, Allweisheit, Gerechtigkeit, Güte usf. Die Morgenländer nennen Gott den Viel- oder vielmehr den unendlich Allnamigen und haben die Vorstellung, daß die Forderung, das zu sagen, was er ist, nur durch die unerschöpfliche Angabe seiner Namen, d. i. seiner Bestimmungen erschöpft werden könne. Wie aber von der unendlichen Menge der Ausgangspunkte gesagt worden ist, daß sie durch den Gedanken in einfache Kategorien zusammengefaßt werden, so tritt hier noch mehr das Bedürfnis ein, die Mehrheit von Eigenschaften auf wenigere oder um so mehr auf einen Begriff zu reduzieren, da Gott ein Begriff, der wesentlich in sich einige, untrennbare Begriff ist, während wir von den endlichen Gegenständen zugeben, daß wohl jeder für sich auch nur ein Subjekt, ein Individuum, d. i. ein Ungeteiltes ist, Begriff ist, diese Einheit doch eine in sich mannigfaltige, nur aus vielem, gegeneinander Äußerlichen zusammengesetzte, trennbare, selbst auch sich in ihrer Existenz widerstreitende Einheit ist. Die Endlichkeit der lebendigen Naturen besteht darin, daß an ihnen Leib und Seele trennbar ist, noch mehr, daß die Glieder, daß Nerv, Muskel usf., dann Färbestoff, Öl, Säure usf. ebenso trennbar sind, daß, was Prädikate am wirklichen Subjekte oder Individuum sind, Farbe, Geruch, Geschmack usf., als selbständige Materie auseinandergehen kann und daß die individuelle Einheit bestimmt ist, so auseinanderzufallen. Der Geist tut seine Endlichkeit in derselben Verschiedenheit und Unangemessenheit überhaupt seines Seins zu seinem Begriffe kund; die Intelligenz zeigt sich der Wahrheit, der Wille dem Guten, Sittlichen und Rechten, die Phantasie dem Verstande, sie und dieser der Vernunft usf. unangemessen, - ohnehin [ist] das sinnliche Bewußtsein, mit welchem die ganze Existenz immer aus- oder wenigstens angefüllt ist, die Masse von momentanem, vergänglichem, schon insofern unwahrem Inhalte. Diese in der empirischen Wirklichkeit so weit durchgreifende Trennbarkeit und Getrenntheit der Tätigkeiten, Richtungen, Zwecke und Handlungen des Geistes kann es einigermaßen entschuldigen, wenn auch die Idee desselben so in sich in Vermögen oder Anlagen oder Tätigkeiten und dergleichen auseinanderfallend aufgefaßt wird; denn er ist als individuelle Existenz, als dieser Einzelne eben diese Endlichkeit, so in getrenntem, sich selbst äußerlichem Dasein zu sein. Aber Gott ist nur dieser Eine, ist nur als dieser eine Gott; also die subjektive Wirklichkeit untrennbar von der Idee und damit ebenso ungetrennt an ihr selber. Hier zeigt sich die Verschiedenheit, die Trennung, Mehrheit der Prädikate, die nur in der Einheit des Subjekts verknüpft, an ihnen selbst aber in Unterschiedenheit wären - womit sie selbst in Gegensatz und damit in Widerstreit kämen -, somit aufs entschiedenste als etwas Unwahres und die Mehrheit von Bestimmungen als ungehörige Kategorie. Die nächste Art, in welcher sich die Zurückführung der mehreren Bestimmungen Gottes, die sich aus den mehreren Beweisen ergeben, auf den einen und als in sich einig zu fassenden Begriff darbietet, ist das Gewöhnliche, daß sie auf eine, wie man es nennt, höhere Einheit, d. h. eine abstraktere und, da die Einheit Gottes die höchste ist, auf die hiermit abstrakteste Einheit zurückgeführt werden sollen. Die abstrakteste Einheit aber ist die Einheit selbst; es ergäbe sich daher für die Idee Gottes nur dies, daß er die Einheit sei um dies als ein Subjekt oder Seiendes wenigstens auszudrücken: etwa der Eine, was aber nur gegen Viele gestellt ist, so daß auch der Eine in ihm selbst noch von den Vielen Prädikat sein könnte, also als Einheit in ihm selbst: etwa eher das Eine oder auch das Sein. Aber mit solcher Abstraktion der Bestimmung kommen wir nur auf das zurück, daß von Gott nur abstrakt das Sein in den Beweisen des Daseins Gottes das Resultat wäre oder, was dasselbe ist, daß Gott selbst nur das abstrakte Eine oder Sein, das leere Wesen des Verstandes wäre, dem sich die konkrete Vorstellung Gottes, die durch solche abstrakte Bestimmung nicht befriedigt, gegenüberstellte. Aber nicht nur ist die Vorstellung dadurch unbefriedigt, sondern die Natur des Begriffes selbst, welche, wie sie im allgemeinen angegeben worden, sich als an ihr selbst konkret zeigt und, was als Verschiedenheit und Mehrheit von Bestimmungen äußerlich erscheint, nur die in sich bleibende Entwicklung von ihren Momenten ist. Es ist denn so die innere Notwendigkeit der Vernunft, welche in dem denkenden Geiste wirksam ist und in ihm diese Mehrheit von Bestimmungen hervortreibt; nur indem dieses Denken die Natur des Begriffes selbst und damit die Natur ihres Verhältnisses und die Notwendigkeit des Zusammenhanges derselben noch nicht erfaßt hat, erscheinen sie, die an sich Stufen der Entwicklung sind, nur als eine zufällige, aufeinanderfolgende, außereinanderfallende Mehrheit, wie dieses Denken auch innerhalb einer jeden dieser Bestimmungen die Natur des Überganges, welcher Beweisen heißt, nur so auffaßt, daß die Bestimmungen in ihrem Zusammenhange doch außereinander bleiben und sich nur als selbständige miteinander vermitteln, nicht die Vermittlung mit sich selbst als das wahrhafte letzte Verhältnis in solchem Gange erkennt, was sich als der formelle Mangel dieser Beweise bemerklich machen wird.
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