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G.W.F. Hegel

Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes

Neunte Vorlesung

Nehmen wir die Verschiedenheit der vorhandenen Beweise über das Dasein Gottes auf, wie wir sie vorfinden, so treffen wir auf einen wesentlichen Unterschied: ein Teil der Beweise geht vom Sein zum Gedanken Gottes, d. i. näher vom bestimmten Sein zum wahrhaften Sein als dem Sein Gottes über, der andere von dem Gedanken Gottes, der Wahrheit an sich selbst, zum Sein dieser Wahrheit.

Dieser Unterschied, obgleich derselbe als ein nur sich so vorfindender, zufälliger aufgeführt wird, gründet sich auf eine Notwendigkeit, die bemerklich zu machen ist. Wir haben nämlich zwei Bestimmungen vor uns, den Gedanken Gottes und das Sein. Es kann also sowohl von der einen als der anderen ausgegangen werden in dem Gange, der ihre Verbindung bewerkstelligen soll. Bei dem bloßen Können scheint es gleichgültig, von welcher aus der Weg gemacht werde; ferner auch, wenn auf einem die Verknüpfung zustande gekommen, erscheint der andere als überflüssig.

Was aber so zunächst als gleichgültige Zweiheit und als äußerliche Möglichkeit erscheint, hat einen Zusammenhang im Begriffe, so daß die beiden Wege weder gleichgültig gegeneinander sind, noch einen bloß äußerlichen Unterschied ausmachen, noch einer derselben überflüssig ist.
Die Natur dieser Notwendigkeit betrifft nicht einen Nebenumstand; sie hängt mit dem innersten unseres Gegenstandes selbst zusammen und zunächst mit der logischen Natur des Begriffs; gegen diesen sind die zwei Wege nicht bloß verschiedene überhaupt, sondern Einseitigkeit, sowohl in Beziehung auf die subjektive Erhebung unseres Geistes zu Gott als auch auf die Natur Gottes selbst.
Wir wollen diese Einseitigkeit in ihrer konkreteren Gestalt in Beziehung auf unseren Gegenstand darlegen. Es sind zunächst nur die abstrakten Kategorien von Sein und Begriff, deren Gegensatz und Beziehungsweise wir vor uns haben; es soll sich zugleich zeigen, wie diese Abstraktionen und deren Verhältnisse zueinander die Grundlagen des Konkretesten ausmachen und bestimmen.

Um dies bestimmter angeben zu können, schicke ich die weitere Unterscheidung voraus,
daß es drei Grundweisen sind, in denen der Zusammenhang zweier Seiten oder Bestimmungen steht: die eine ist das Übergehen der einen Bestimmung in ihre andere,
die zweite die
Relativität derselben oder das Scheinen der einen an oder in dem Sein der anderen;
die dritte Weise aber ist die des
Begriffs oder der Idee,
daß die Bestimmung in ihrer anderen so sich erhält, daß diese ihre Einheit, die selbst an sich das ursprüngliche Wesen beider ist, auch als die subjektive Einheit derselben gesetzt ist.
So ist keine von ihnen einseitig, und sie beide zusammen machen das Scheinen ihrer Einheit aus, die zunächst nur ihre
Substanz aus ihnen als dem immanenten Scheinen der Totalität ebenso ewig sich resultiert und unterschieden von ihnen für sich als ihre Einheit wird, als diese sich ewig zu ihrem Scheine entschließt.

Die beiden angegebenen einseitigen Wege der Erhebung geben daher an ihnen selbst eine gedoppelte Form ihrer Einseitigkeit; die Verhältnisse, die daraus hervorgehen, sind bemerklich zu machen.
Was im allgemeinen geleistet werden soll, ist, daß an der Bestimmung der einen Seite, des Seins, die andere, der Begriff, und umgekehrt an dieser die erstere aufgezeigt werde, jede an und aus ihr selbst sich zu ihrer anderen bestimme. Wenn nun nur die eine Seite sich zu der anderen bestimmte, so wäre dieses Bestimmen einesteils nur ein Übergehen, in dem die erste sich verlöre, oder anderenteils ein Scheinen ihrer hinaus, außer sich selbst, worin jene zwar sich für sich erhielte, aber nicht in sich zurückkehrte, nicht für sich selbst jene Einheit wäre.
Wenn wir den Begriff mit der konkreten Bedeutung Gottes und Sein in der konkreten Bedeutung der Natur nehmen und das Sichbestimmen Gottes zur Natur nur in dem ersten der angegebenen Zusammenhänge faßten, so wäre derselbe ein Werden Gottes zur Natur; wäre aber nach dem zweiten die Natur nur ein Erscheinen Gottes, so wäre sie wie im Übergange nur für ein Drittes, nur für uns, die darin liegende Einheit, sie wäre nicht an und für sich selbst vorhanden, nicht die wahrhafte, im vorhinein bestimmte.
Wenn wir dies in konkreteren Formen nehmen und Gott als die Idee für sich seiend vorstellen, von ihr anfangen und das Sein auch als Totalität des Seins, als Natur fassen, so zeigte sich der Fortgang von der Idee zur Natur
1. entweder als ein bloßer Übergang in die Natur, in welcher die Idee verloren, verschwunden wäre;
2. in Ansehung des Überganges, um dies näher anzugeben, wäre es nur unsere Erinnerung,
daß das einfache Resultat aus einem Anderen hergekommen wäre, das aber verschwunden ist;
in Ansehung des Erscheinens wären es wir nur, die den Schein auf sein Wesen bezögen, ihn in dasselbe zurückführten.
- Oder in einem weiteren Gesichtspunkte: Gott hätte nur eine Natur erschaffen, nicht einen endlichen Geist, der aus ihr zu ihm zurückkehrt;
- er hätte eine unfruchtbare Liebe zu der Welt als zu seinem Scheine, der als Schein schlechthin nur ein Anderes gegen ihn bliebe, aus dem er sich nicht widerstrahlte, nicht in sich selbst schiene.
Und wie sollte der Dritte, wie sollten wir es sein, die diesen Schein auf sein Wesen bezögen, ihn in seinen Mittelpunkt zurückführten und das Wesen so erst sich selbst erscheinen, in sich selbst scheinen machten? Was wäre dies Dritte? Was wären wir? Ein absolut vorausgesetztes Wissen, überhaupt ein selbständiges Tun einer formellen, alles in sich selbst befassenden Allgemeinheit, in welche jene an und für sich sein sollende Einheit selbst nur als Scheinen ohne Objektivität fiele.

Fassen wir das Verhältnis bestimmter, welches in dieser Bestimmung aufgestellt ist, so würde die Erhebung des bestimmten Seins der Natur und des natürlichen Seins überhaupt, und darunter auch unseres Bewußtseins der Tätigkeit dieses Erhebens selbst, zu Gott eben nur die Religion, die Frömmigkeit sein, welche subjektiv nur zu ihm sich erhebt, entweder auch nur in Übergangsweise,
um in ihm zu verschwinden, oder als einen Schein sich
ihm gegenüberzusetzen.

In jenem Verschwinden des Endlichen in ihm wäre er nur die absolute Substanz, aus der nichts hervorgeht und nichts zu sich wiederkehrt; - und selbst das Vorstellen oder Denken der absoluten Substanz wäre noch ein Zuviel, das selbst zu verschwinden hätte.
Wird aber das Reflexionsverhältnis noch erhalten, das Erheben der Frömmigkeit zu ihm in dem Sinne,
daß die Religion als solche, d. h. somit das Subjektive für sich das Seiende, Selbständige bleibt, so ist das zunächst Selbständige, zu dem sie das Erheben ist, nur ein von ihr Produziertes, Vorgestelltes, Postuliertes oder Gedachtes, Geglaubtes, - ein Schein, nicht wahrhaft ein Selbständiges, das aus sich selbst anfängt,
nur die vorgestellte Substanz, die sich nicht erschließt und eben damit nicht die Tätigkeit ist,
als welche allein in das subjektive Erheben als solches fällt; es würde nicht gewußt und anerkannt,
daß Gott der Geist ist, der jenes Erheben zu ihm, jene Religion im Menschen selbst erweckt.

Wenn in dieser Einseitigkeit sich auch eine weitere Vorstellung und Entwicklung dessen,
was zunächst über die Bestimmung eines Gegenscheins nicht hinausgeht, sich ergäbe, eine Emanzipation desselben, worin er seinerseits gleichfalls als selbständig und tätig als Nicht-Schein bestimmt würde,
so wäre diesem Selbständigen nur die relative, somit halbe Beziehung auf seine andere Seite zuerkannt, welche einen unmitteilenden und unmitteilbaren Kern in sich behielte, der nichts mit dem Anderen zu tun hätte; es wäre nur mit der Oberfläche, daß beide Seiten scheinsweise sich zueinander verhielten, nicht aus ihrem Wesen und durch ihr Wesen; es fehlte sowohl auf beiden Seiten die wahrhafte, totale Rückkehr des Geistes in sich selbst, als er auch die Tiefen der Gottheit nicht erforschte.
Aber jene Rückkehr in sich und diese Erforschung des Anderen, beides fällt wesentlich zusammen,
denn die bloße Unmittelbarkeit, das substantielle Sein ist keine Tiefe; die wirkliche Rückkehr in sich macht allein die Tiefe, und das Erforschen selbst des Wesens ist die Rückkehr in sich.

Bei dieser vorläufigen Andeutung des konkreteren Sinnes des angeführten Unterschiedes, den unsere Reflexion vorfand, lassen wir es hier bewenden. Worauf aufmerksam zu machen war, ist,
daß der Unterschied nicht eine überflüssige Mehrheit ist, daß ferner die daraus zunächst als formell und äußerlich geschöpfte Einteilung zwei Bestimmungen - Natur, natürliche Dinge, Bewußtsein zu Gott und von da zurück zum Sein - enthält, welche zu einem Begriffe gleich notwendig gehören, ebensosehr im Gange des subjektiven Ganges des Erkennens, als sie einen ganz objektiven konkreten Sinn enthalten und,
nach beiden Seiten hin für sich gehalten, die wichtigsten Einseitigkeiten darbieten.
In betreff des Erkennens liegt ihre Ergänzung in der Totalität, die der Begriff ist überhaupt, näher in dem, was von ihm gesagt worden ist, daß seine Einheit als Einheit beider Momente ein Resultat, wie die absoluteste Grundlage, und Resultat beider Momente sei.
Ohne aber diese Totalität und deren Forderung vorauszusetzen, wird aus dem Resultate der
einen Bewegung - und da wir anfangen, können wir nur einseitig von der einen anfangen - es sich ergeben,
daß sie sich selbst durch ihre eigene dialektische Natur zu der anderen hinübertreibt, aus sich zu dieser Vervollständigung übergeht.
Die objektive Bedeutung dieses zunächst nur subjektiven Schließens aber wird sich damit zugleich von selbst herausheben, daß die unzulängliche, endliche Form jenes Beweisens aufgehoben wird.
Die Endlichkeit desselben besteht vor allem in dieser Einseitigkeit seiner Gleichgültigkeit und Trennung von dem Inhalte; mit dem Aufheben dieser Einseitigkeit erhält es auch den Inhalt in seiner Wahrheit in sich.
Die Erhebung zu Gott ist für sich das Aufheben der Einseitigkeit der Subjektivität überhaupt und zuallererst des Erkennens.

Zu dem Unterschiede, wie er von der formellen Seite als eine Verschiedenheit der Arten von Beweisen des Daseins Gottes erscheint, ist noch hinzuzufügen, daß von der einen Seite, welche vom Sein zum Begriffe Gottes übergeht, zwei Gestalten von Beweisen angegeben werden.

Der erste Beweis geht von dem Sein aus, welches, als ein zufälliges, sich nicht selbst trägt, und schließt auf ein wahrhaftes, an und für sich notwendiges Sein, - der Beweis e contingentia mundi.

Der andere Beweis geht von dem Sein aus, insofern es sich nach Zweck- beziehungen bestimmt findet, und schließt auf einen weisen Urheber dieses Seins, - der teleologische Beweis vom Dasein Gottes.

Indem noch die andere Seite hinzukommt, welche den Begriff Gottes zum Ausgangspunkt macht und auf das Sein desselben schließt - der ontologische Beweis -, so sind es, indem wir uns von dieser Angabe leiten lassen, drei Beweise, die wir, und nicht weniger deren Kritik, durch welche sie als abgetan in Vergessenheit gestellt worden sind, zu betrachten haben.

 

 

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