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HEGEL - Religion
G.W.F. Hegel
Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes
Elfte Vorlesung
Nach diesen Erörterungen über den Bereich der in Rede stehenden Inhaltsbestimmungen betrachten wir den Gang der zuerst genannten Erhebung selbst in der Gestalt, in welcher er uns vorliegt; er ist einfach der Schluß von der Zufälligkeit der Welt auf ein absolut notwendiges Wesen derselben. Nehmen wir den förmlichen Ausdruck dieses Schlusses in seinen besonderen Momenten vor, so lautet er so: Das Zufällige steht nicht auf sich selbst, sondern hat ein in sich selbst Notwendiges zu seiner Voraussetzung überhaupt, - zu seinem Wesen, Grund, Ursache. Nun aber ist die Welt zufällig; die einzelnen Dinge sind zufällig, und sie als Ganzes ist das Aggregat derselben. Also hat die Welt ein in sich selbst Notwendiges zu ihrer Voraussetzung.
Die Bestimmung, von welcher dieses Schließen ausgeht, ist die Zufälligkeit der weltlichen Dinge. Nehmen wir dieselbe, wie sie sich in der Empfindung und Vorstellung findet, vergleichen wir, was im Geiste der Menschen geschieht, so werden wir es wohl als Erfahrung angeben dürfen, daß die weltlichen Dinge für sich genommen als zufällig betrachtet werden. Die einzelnen Dinge kommen nicht aus sich und gehen nicht aus sich dahin; sie sind als zufällige bestimmt, zu fallen, so daß ihnen dies nicht nur selbst zufälligerweise geschieht, sondern daß dies ihre Natur ausmacht. Wenn ihr Verlauf auch in ihnen selbst sich entwickelt und regel- und gesetzmäßig geschieht, so ist es, daß er ihrem Ende zugeht oder vielmehr sie nur ihrem Ende zuführt, ebensosehr als ihre Existenz durch andere auf die mannigfaltigste Weise verkümmert und von außen her abgebrochen wird. Werden sie als bedingt betrachtet, so sind ihre Bedingungen selbständige Existenzen außer ihnen, die ihnen entsprechen oder auch nicht, durch die sie momentan erhalten werden oder auch nicht. Zunächst zeigen sie sich beigeordnet im Raume, ohne daß eben eine weitere Beziehung in ihrer Natur sie zusammenstellte; das Heterogenste findet sich nebeneinander, und ihre Entfernung kann stattfinden, ohne daß an der Existenz des einen selbst oder des anderen etwas verrückt würde; sie folgen ebenso äußerlich in der Zeit aufeinander. Sie sind endlich überhaupt und, so selbständig sie auch erscheinen, durch die Schranke ihrer Endlichkeit wesentlich unselbständig. Sie sind; sie sind wirklich, aber ihre Wirklichkeit hat den Wert nur einer Möglichkeit; sie sind, können aber ebensowohl nicht sein und ebenso sein.
In ihrem Dasein entdecken sich aber nicht nur Zusammenhänge von Bedingungen, d. i. die Abhängigkeiten, durch welche sie als zufällig bestimmt werden, sondern auch die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung, Regelmäßigkeiten ihres inneren und äußeren Verlaufs, Gesetze. Solche Abhängigkeiten, das Gesetzmäßige erhebt sie über die Kategorie der Zufälligkeit zur Notwendigkeit, und diese erscheint so innerhalb des Kreises, den wir als nur mit Zufälligkeiten angefüllt gedacht haben. Die Zufälligkeit nimmt die Dinge um ihrer Vereinzelung willen in Anspruch; darum sind sie ebensowohl als nicht; aber sie sind ebenso das Gegenteil, nicht vereinzelt, sondern als bestimmt, beschränkt, schlechthin aufeinander bezogen. Durch dies Gegenteil ihrer Bestimmung aber kommen sie nicht besser weg. Die Vereinzelung lieh ihnen den Schein von Selbständigkeit, aber der Zusammenhang mit anderen, d. i. miteinander, spricht die einzelnen Dinge sogleich als unselbständig aus, macht sie bedingt und wirkt durch andere als notwendig, aber durch andere, nicht durch sich selbst. Das Selbständige würden somit aber diese Notwendigkeiten selbst, diese Gesetze sein. Was wesentlich im Zusammenhange ist, hat nicht an sich selbst, sondern an diesem seine Bestimmung und seinen Halt; er ist das, wovon sie abhängig sind. Aber diese Zusammenhänge selbst, wie sie bestimmt werden, als der Ursachen und der Wirkungen, der Bedingung und der Bedingtheit usf., sind selbst beschränkter Art, selbst zufällige gegeneinander, daß jeder ebensowohl ist als auch nicht und auch fähig, ebenso gestört, durch Umstände, d. i. selbst Zufälligkeiten unterbrochen, in ihrer Wirksamkeit und Gelten abgebrochen zu werden als die einzelnen Dinge, vor deren Zufälligkeit sie nichts voraus haben. Im Gegenteil, diese Zusammenhänge, denen die Notwendigkeit zukommen soll, Gesetze, sind nicht einmal das, was man Dinge heißt, sondern Abstraktionen. Wenn sich so auf dem Felde der zufälligen Dinge in Gesetzen, im Verhältnisse von Ursache und Wirkung vornehmlich, der Zusammenhang der Notwendigkeit zeigt, so ist diese selbst ein Bedingtes, Beschränktes, eine äußerliche Notwendigkeit überhaupt; sie selbst fällt in die Kategorien der Dinge, sowohl ihrer Vereinzelung, d. i. Äußerlichkeit, wie umgekehrt ihrer Bedingtheit, Beschränktheit, Abhängigkeit zurück. Im Zusammenhange von Ursachen und Wirkungen findet sich nicht nur die Befriedigung, welche in der leeren, beziehungslosen Vereinzelung der Dinge, die eben darum zufällige genannt werden, vermißt wird; sondern auch die unbestimmte Abstraktion, wenn man sagt: Dinge, das Unstete derselben verschwindet in diesem Verhältnisse der Notwendigkeit, in der sie zu Ursachen, ursprünglichen Sachen, Substanzen, die wirksam und bestimmt sind, werden. Aber in den Zusammenhängen dieses Kreises sind die Ursachen selbst endliche, - als Ursachen anfangend, so ist ihr Sein wieder vereinzelt und darum zufällig, oder nicht vereinzelt, so sind sie Wirkungen, damit nicht selbständig, durch ein Anderes gesetzt. Reihen von Ursachen und Wirkungen sind teils zufällig gegeneinander; teils, für sich ins sogenannte Unendliche fortgesetzt, enthalten sie in ihrem Inhalte lauter solche Stellen und Existenzen, deren jede für sich endlich ist, und das, was dem Zusammenhang der Reihe den Halt geben sollte, das Unendliche, ist nicht nur ein Jenseits, sondern bloß ein Negatives, dessen Sinn selbst nur relativ und bedingt durch das ist, was von ihm negiert werden soll, eben damit aber nicht negiert wird.
Aber über diesen Haufen von Zufälligkeiten, über die Notwendigkeit, welche in denselben eingeschlossen nur eine äußerliche und relative, und über das Unendliche, das nur ein Negatives ist, erhebt sich der Geist zu einer Notwendigkeit, die nicht mehr über sich hinausgeht, sondern es an und für sich, in sich geschlossen, vollkommen in sich bestimmt ist und von der alle anderen Bestimmungen gesetzt und abhängig sind.
Dies mögen in ungefährer Vorstellung oder noch konzentrierter die wesentlichen Gedankenmomente im Innern des Menschengeistes sein, in der Vernunft, welche nicht methodisch und förmlich zum Bewußtsein ihres innerlichen Prozesses, noch weniger zu der Untersuchung jener Gedankenbestimmungen, die er durchläuft, und ihres Zusammenhanges ausgebildet ist. Nun kommt aber zu sehen, ob das förmlich und methodisch in Schlüssen verfahrende Denken jenen Gang der Erhebung, den wir insofern als faktisch voraussetzen und den wir ganz nur in seinen wenigen Grundbestimmungen vor Augen zu haben brauchen, richtig auffaßt und ausdrückt; umgekehrt aber, ob jene Gedanken und deren Zusammenhang durch die Untersuchung der Gedanken an ihnen selbst sich gerechtfertigt zeigt und bewährt, wodurch die Erhebung erst wahrhaft aufhört, eine Voraussetzung zu sein, und das Schwankende der Richtigkeit ihrer Auffassung wegfällt. Diese Untersuchung aber, insofern sie, wie an sich an sie zu fordern ist, auf die letzte Analyse der Gedanken gehen sollte, muß hier abgelehnt werden. Sie muß in der Logik, der Wissenschaft der Gedanken, vollbracht sein, - denn ich fasse Logik und Metaphysik zusammen, indem die letztere gleichfalls nichts anderes ist, als daß sie zwar einen konkreten Inhalt wie Gott, die Welt, die Seele betrachtet, aber so, daß diese Gegenstände als Noumena, d. h. deren Gedanke, gefaßt werden sollen; hier können mehr nur die logischen Resultate als die förmliche Entwicklung aufgenommen werden. Eine Abhandlung über die Beweise vom Dasein Gottes läßt insofern sich nicht selbständig halten, als sie philosophisch-wissenschaftliche Vollständigkeit haben sollte. Die Wissenschaft ist der entwickelte Zusammenhang der Idee in ihrer Totalität. Insofern ein einzelner Gegenstand aus der Totalität, zu welcher die Wissenschaft die Idee entwickeln muß als die einzige Weise, deren Wahrheit darzutun, herausgehoben wird, muß die Abhandlung sich Grenzpunkte machen, die sie als in dem übrigen Verlaufe der Wissenschaft ausgemacht voraussetzen muß. Doch kann die Abhandlung Schein der Selbständigkeit für sich dadurch hervorbringen, daß das, was die Begrenzungen der Darstellung sind, d. h. unerörterte Voraussetzungen, bis zu denen die Analyse fortgeht, für sich dem Bewußtsein zusagt. Jede Schrift enthält solche letzte Vorstellungen, Grundsätze, auf die mit Bewußtsein oder bewußtlos der Inhalt gestützt ist; es findet sich in ihr ein umschriebener Horizont von Gedanken, die in ihr nicht weiter analysiert, deren Horizont in der Bildung einer Zeit, eines Volkes oder irgendeines wissenschaftlichen Kreises feststeht und über welchen nicht hinausgegangen zu werden braucht, - ja, ihn über diese Grenzpunkte der Vorstellung hinaus durch die Analyse derselben zu spekulativen Begriffen erweitern zu wollen, würde dem, was populäre Verständlichkeit genannt wird, nachteilig sein.
Jedoch da der Gegenstand dieser Vorlesungen wesentlich für sich im Gebiete der Philosophie steht, so kann es in denselben nicht ohne abstrakte Begriffe abgehen; aber wir haben diejenigen, die auf diesem ersten Standpunkte vorkommen, schon vorgetragen, und um das Spekulative zu gewinnen, brauchen wir dieselben nur zusammenzustellen; denn das Spekulative besteht im allgemeinen in nichts anderem, als seine Gedanken, d. i. die man schon hat, nur zusammenzubringen.
Die Gedanken also, die angeführt worden, sind zuerst folgende Hauptbestimmungen: Zufällig ist ein Ding, Gesetz usf. durch seine Vereinzelung; wenn es ist und wenn es nicht ist, so tritt für die anderen Dinge keine Störung oder Veränderung ein; daß es ebensowenig von ihnen gehalten oder der Halt, den es an ihnen hätte, ein ganz unzureichender ist, gibt ihnen den selbst unzureichenden Schein von Selbständigkeit, der gerade ihre Zufälligkeit ausmacht. Zur Notwendigkeit einer Existenz erfordern wir dagegen, daß dieselbe mit anderen im Zusammenhange stehe, so daß nach allen Seiten solche Existenz durch die anderen Existenzen als Bedingungen, Ursachen vollständig bestimmt sei und nicht für sich losgerissen davon sei oder werden könne, noch daß irgendeine Bedingung, Ursache, Umstand des Zusammenhangs vorhanden sei, wodurch sie losgerissen werden könnte, kein solcher Umstand den anderen sie bestimmenden widerspreche. - Nach dieser Bestimmung stellen wir die Zufälligkeit eines Dinges in seine Vereinzelung, in den Mangel des vollständigen Zusammenhanges mit anderen. Dies ist das eine.
Umgekehrt aber, indem eine Existenz in diesem vollkommenen Zusammenhange steht, ist sie in allseitiger Bedingtheit und Abhängigkeit, - vollkommen unselbständig. In der Notwendigkeit allein finden wir vielmehr die Selbständigkeit eines Dinges; was notwendig ist, muß sein; sein Seinmüssen drückt seine Selbständigkeit so aus, daß das Notwendige ist, weil es ist. Dies ist das andere.
So sehen wir zweierlei entgegengesetzte Bestimmungen erfordert für die Notwendigkeit von etwas: seine Selbständigkeit, aber in dieser ist es vereinzelt und es ist gleichgültig, ob es ist oder nicht, - sein Begründet- und Enthaltensein in der vollständigen Beziehung auf das andere alles, womit es umgeben ist, durch welchen Zusammenhang es getragen ist: so ist es unselbständig. Die Notwendigkeit ist ein Bekanntes, ebenso wie das Zufällige. Nach solcher ersten Vorstellung genommen ist alles mit ihnen in Ordnung; das Zufällige ist verschieden von dem Notwendigen und weist auf ein Notwendiges hinaus, welches aber, wenn wir es näher betrachten, selbst unter die Zufälligkeit zurückfällt, weil es, als durch Anderes gesetzt, unselbständig ist; als entnommen aber solchem Zusammenhang, vereinzelt ist es sogleich unmittelbar zufällig; die gemachten Unterscheidungen sind daher nur gemeinte.
Indem wir die Natur dieser Gedanken nicht näher untersuchen wollen und den Gegensatz der Notwendigkeit und Zufälligkeit einstweilen auf die Seite setzen und bei der ersten stehenbleiben, so halten wir uns dabei an das, was sich in unserer Vorstellung findet, daß ebensowenig die eine wie die andere der Bestimmungen für die Notwendigkeit hinreichend ist, aber auch beide dazu erfordert werden: die Selbständigkeit, so daß das Notwendige nicht vermittelt sei durch Anderes, und ebensosehr die Vermittlung desselben im Zusammenhange mit dem Anderen; so widersprechen sie sich, aber indem sie beide auch der einen Notwendigkeit angehören, so müssen sie auch sich nicht widersprechen in der Einheit, zu der sie in ihr vereinigt sind, und für unsere Einsicht ist dies zu tun, daß die Gedanken, die in ihr vereinigt sind, auch wir in uns zusammenbringen. In dieser Einheit muß also die Vermittlung mit Anderem in die Selbständigkeit selbst fallen und diese als Beziehung auf sich die Vermittlung mit Anderem innerhalb ihrer selbst haben. In dieser Bestimmung aber kann beides nur so vereinigt sein, daß die Vermittlung mit Anderem zugleich als Vermittlung mit sich ist, d. i. nur daß die Vermittlung mit Anderem sich aufhebt und zur Vermittlung mit sich wird. So ist die Einheit mit sich selbst als Einheit nicht die abstrakte Identität, die wir als Vereinzelung, in der das Ding nur sich auf sich bezieht und worin seine Zufälligkeit liegt, sahen; die Einseitigkeit, wegen der allein sie im Widerspruch mit der ebenso einseitigen Vermittlung von Anderem ist, ist ebenso aufgehoben und diese Unwahrheiten verschwunden; die so bestimmte Einheit ist die wahrhafte, und als wahrhaft gewußte ist sie die spekulative. Die Notwendigkeit, so bestimmt, daß sie diese entgegengesetzten Bestimmungen in sich vereinigt, zeigt sich, nicht bloß so eine einfache Vorstellung und einfache Bestimmtheit zu sein; ferner ist Aufheben der entgegengesetzten Bestimmungen nicht bloß unsere Sache und unser Tun, so daß nur wir es vollbrächten, [sondern] ist die Natur und das Tun dieser Bestimmungen an ihnen selbst, da sie in einer Bestimmung vereinigt sind. Auch diese beiden Momente der Notwendigkeit, in ihr Vermittlung mit Anderem zu sein und diese Vermittlung aufzuheben und sich als sich selbst zu setzen, eben um ihrer Einheit willen, sind nicht gesonderte Akte. Sie bezieht in der Vermittlung mit Anderem sich auf sich selbst, d. i. das Andere, durch das sie sich mit sich vermittelt, ist sie selbst. So ist es als Anderes negiert; sie ist sich selbst das Andere, aber nur momentan - momentan, ohne die Bestimmung der Zeit dabei in den Begriff hereinzubringen, die erst in dem Dasein des Begriffes hereintritt. - Dies Anderssein ist wesentlich als aufgehobenes; im Dasein erscheint es ebenfalls als ein reelles Anderes. Aber die absolute Notwendigkeit ist die, welche ihrem Begriffe gemäß ist.
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