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G.W.F. Hegel

Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes

Zwölfte Vorlesung

In der vorigen Vorlesung ist der Begriff der absoluten Notwendigkeit exponiert worden,
- der absoluten; absolut heißt sehr häufig nichts weiter als abstrakt, und es gilt ebensooft dafür,
daß mit dem Wort des Absoluten alles gesagt sei und dann keine Bestimmung angegeben werden könne noch solle. In der Tat aber ist es um solche Bestimmung allein zu tun.
Die absolute Notwendigkeit ist eben insofern abstrakt, das schlechthin Abstrakte, als sie das Beruhen in sich selbst, das Bestehen nicht in oder aus oder durch ein Anderes ist.
Aber wir haben gesehen, daß sie nicht nur ihrem Begriff als irgendeinem gemäß, so daß wir denselben und ihr äußeres Dasein verglichen, sondern dieses Gemäßsein selbst ist, daß, was als die äußere Seite genommen werden kann, in ihr selbst enthalten ist, daß eben das Beruhen auf sich selbst, die Identität oder Beziehung auf sich ist, welche die Vereinzelung der Dinge ausmacht, wodurch sie zufällige sind, eine Selbständigkeit, welche vielmehr Unselbständigkeit ist.
Die Möglichkeit ist dasselbe Abstraktum; möglich soll sein, was sich nicht widerspricht, d. i. was nur identisch mit sich, in dem keine Identität mit einem Anderen stattfinde, noch es innerhalb seiner selbst das Andere seiner wäre. Zufälligkeit und Möglichkeit sind nur dadurch unterschieden, daß dem Zufälligen ein Dasein zukommt, das Mögliche aber nur die Möglichkeit hat ein Dasein zu haben.
Aber das Zufällige hat selbst eben nur ein solches Dasein, das ganz nur den Wert der Möglichkeit hat;
es ist, aber ebensogut ist es auch nicht. In der Zufälligkeit ist das Dasein oder die Existenz so weit, wie gesagt worden ist, herauspräpariert, daß es zugleich nun als ein an sich Nichtiges bestimmt ist und damit der Übergang zu seinem Anderen, dem Notwendigen in ihm selbst ausgesprochen ist.
Dasselbe ist es, was darin mit der abstrakten Identität, jener bloßen Beziehung auf sich geschieht; sie wird als Möglichkeit gewußt.
Daß es mit dieser noch nichts ist, daß etwas möglich ist, damit ist noch nichts ausgerichtet; die Identität ist, was sie wahrhaft ist, als eine Dürftigkeit bestimmt.

Das Dürftige dieser Bestimmung hat sich, wie wir gesehen durch die ihr entgegengesetzte ergänzt.
Die Notwendigkeit ist nur dadurch nicht die abstrakte, sondern wahrhaft absolute, daß sie den Zusammenhang mit Anderem in ihr selbst enthält, das Unterscheiden in sich ist, aber als ein aufgehobenes, ideelles. Sie enthält damit das, was der Notwendigkeit überhaupt zukommt, aber sie unterscheidet sich von dieser als äußerlicher, endlicher, deren Zusammenhang nur hinausgeht zu Anderem, das als Seiendes bleibt und gilt und so nur Abhängigkeit ist.
Sie heißt auch Notwendigkeit, insofern der Notwendigkeit die Vermittlung überhaupt wesentlich ist.
Der Zusammenhang ihres Anderen mit Anderem, der sie ausmacht, ist aber an seinen Enden ununterstützt; die absolute Notwendigkeit biegt solches Verhalten zu Anderem in ein Verhalten zu sich selbst um und bringt damit eben die innere Übereinstimmung mit sich hervor.

Der Geist erhebt sich aus der Zufälligkeit und äußeren Notwendigkeit darum also, weil diese Gedanken an ihnen selbst sich in sich ungenügend und unbefriedigend sind; er findet Befriedigung in dem Gedanken der absoluten Notwendigkeit, weil diese der Friede mit sich selbst ist. Ihr Resultat, aber als Resultat, ist:
Es ist so, - schlechthin notwendig; so ist alle Sehnsucht, Streben, Verlangen nach einem Anderen versunken; denn in ihr ist das Andere vergangen. Es ist keine Endlichkeit in ihr, sie ist ganz fertig in ihr, unendlich in ihr selbst und gegenwärtig, es ist nichts außer ihr; es ist keine Schranke an ihr, denn sie ist dies, bei sich selbst zu sein. Nicht das Erheben selbst des Geistes zu ihr als solches ist es, welches das Befriedigende ist, sondern das Ziel, insofern bei ihm angekommen worden ist.

Bleiben wir einen Augenblick bei dieser subjektiven Befriedigung stehen, so erinnert sie uns an diejenige, welche die Griechen in der Unterwerfung unter die Notwendigkeit fanden.
Dem unabwendbaren Verhängnis nachzugeben, dazu ermahnten die Weisen, besonders die Wahrheit des tragischen Chors, und wir bewundern die Ruhe ihrer Heroen, mit der sie, ungebeugten Geistes, frei das Los entgegennahmen, welches das Schicksal ihnen beschied. Diese Notwendigkeit und die dadurch vernichteten Zwecke ihres Willens, die zwingende Gewalt solchen Schicksals und die Freiheit scheinen das Widerstreitende zu sein und keine Versöhnung, nicht einmal eine Befriedigung zuzulassen. In der Tat ist das Walten dieser antiken Notwendigkeit mit einer Trauer verhängt, die nicht durch Trotz oder Erbitterung abgewiesen noch verhäßlicht wird, deren Klagen aber mehr durch Schweigen entfernt als durch Heilung des Gemüts beschwichtigt werden.
Das Befriedigende, das der Geist in dem Gedanken der Notwendigkeit fand, ist allein darin zu suchen, daß derselbe sich an eben jenes abstrakte Resultat der Notwendigkeit "Es ist so" hält, - ein Resultat, das der Geist in sich selbst vollbringt.
In diesem reinen "Ist" ist kein Inhalt mehr; alle Zwecke, alle Interessen, Wünsche, selbst das konkrete Gefühl des Lebens ist darin entfernt und verschwunden.
Der Geist bringt dies abstrakte Resultat in sich hervor, indem er selbst eben jenen Inhalt seines Wollens den Gehalt seines Lebens selbst aufgegeben, allem entsagt hat. Die Gewalt, die ihm durch das Verhängnis geschieht, verkehrt er so in Freiheit. Denn die Gewalt kann ihn nur so fassen, daß sie diejenigen Seiten ergreift, die in seiner konkreten Existenz ein inneres und äußeres Dasein haben.
Am äußeren Dasein steht der Mensch unter äußerlicher Gewalt, es sei anderer Menschen, der Umstände usf., aber das äußere Dasein hat seine Wurzeln im Innern, in seinen Trieben, Interessen, Zwecken; sie sind die Bande - berechtigte und sittlich gebotene oder unberechtigte -, welche ihn der Gewalt unterwerfen.
Aber die Wurzeln sind seines Innern, sind sein; er kann sich dieselben aus dem Herzen reißen; sein Wille, seine Freiheit ist die Stärke der Abstraktion, das Herz zum Grabe des Herzens selbst zu machen.
So, indem das Herz in sich selbst entsagt, läßt es der Gewalt nichts übrig, an dem sie dasselbe fassen könnte; das, was sie zertrümmert, ist ein herzloses Dasein, eine Äußerlichkeit, in welcher sie den Menschen selbst nicht mehr trifft; er ist da heraus, wo sie hinschlägt.

Es ist vorhin gesagt worden, daß es das Resultat "Es ist so" der Notwendigkeit ist, an welchem der Mensch festhält, als Resultat, d. i. daß er dies abstrakte Sein hervorgebracht.
Dies ist das andere Moment der Notwendigkeit, die Vermittlung durch die Negation des Andersseins. Dies Andere ist das Bestimmte überhaupt, das wir als das innere Dasein gesehen haben, - das Aufgeben der konkreten Zwecke, Interessen; denn sie sind nicht nur die Bande, die ihn an die Äußerlichkeit knüpfen und damit derselben unterwerfen, sondern sie sind selbst das Besondere und dem Innersten, der sich denkenden reinen Allgemeinheit, der einfachen Beziehung der Freiheit auf sich, äußerlich.
Es ist die Stärke dieser Freiheit, so abstrakt in sich zusammenzuhalten und darin jenes Besondere außer ihr zu setzen, es sich so zu einem Äußerlichen zu machen, in welchem sie nicht mehr berührt wird.
Wodurch wir Menschen unglücklich oder unzufrieden werden oder auch nur verdrießlich sind, ist die Entzweiung in uns, d. i. der Widerspruch, daß in uns diese Triebe, Zwecke, Interessen oder auch nur diese Anforderungen, Wünsche und Reflexionen sind und zugleich in unserem Dasein das Andere derselben, ihr Gegenteil ist. Dieser Zwiespalt oder Unfriede in uns kann auf die gedoppelte Weise aufgelöst werden: das eine Mal, daß unser äußeres Dasein, unser Zustand, die Umstände, die uns berühren, für die wir uns überhaupt interessieren, mit den Wurzeln ihrer Interessen in uns sich in Einklang setzen - einen Einklang, der als Glück und Befriedigung empfunden wird; das andere Mal aber, daß im Falle des Zwiespalts beider, somit des Unglücks, statt der Befriedigung eine natürliche Ruhe des Gemüts oder, bei tieferer Verletzung eines energischen Willens und seiner berechtigten Ansprüche, zugleich die heroische Stärke desselben eine Zufriedenheit hervorbringt durch das Vorliebnehmen mit dem gegebenen Zustand, das Sichfügen in das, was da ist, - ein Nachgeben, welches nicht einseitig das Äußerliche, die Umstände, den Zustand wohl fahrenläßt, weil sie bezwungen, überwältigt sind, sondern welches durch seinen Willen die innerliche Bestimmtheit aufgibt, aus sich entläßt.
Diese Freiheit der Abstraktion ist nicht ohne Schmerz, aber dieser ist zum Naturschmerz herabgesetzt, ohne den Schmerz der Reue, der Empörung des Unrechts, wie ohne Trost und Hoffnung; aber sie ist des Trostes auch nicht bedürftig, denn der Trost setzt einen Anspruch voraus, der noch behalten und behauptet ist und nur, in einer Weise nicht befriedigt, auf eine andere einen Ersatz verlangt, in der Hoffnung noch ein Verlangen sich zurückbehalten hat.

Aber darin liegt zugleich das erwähnte Moment der Trauer, das über diese Verklärung der Notwendigkeit zur Freiheit verbreitet ist.
Die Freiheit ist das Resultat der Vermittlung durch die Negation der Endlichkeiten als das abstrakte Sein; die Befriedigung ist die leere Beziehung auf sich selbst, die inhaltslose Einsamkeit des Selbstbewußtseins mit sich. Dieser Mangel liegt in der Bestimmtheit des Resultats wie des Ausgangspunkts; sie ist in beiden dieselbe, sie ist nämlich eben die Unbestimmtheit des Seins. Derselbe Mangel, der an der Gestalt des Prozesses der Notwendigkeit, wie er in der Willensregion des subjektiven Geistes existiert, bemerklich gemacht worden ist, wird sich auch an demselben, wie er ein gegenständlicher Inhalt für das denkende Bewußtsein ist, finden. Aber der Mangel liegt nicht in der Natur des Prozesses selbst, und derselbe ist nun in der theoretischen Gestalt, die unsere eigentümliche Aufgabe ist, zu betrachten.

 

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